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Denken-Sprechen-Wirklichkeit

Denken – sprechen - Wirklichkeit
Wenn das Thema „Sprache“ im Abitur eine Rolle spielt – und das wird in der Regel der Fall sein – sollte man auch ein paar grundsätzliche Dinge „begriffen“ haben. Es geht darum, in welchem Verhältnis unsere Sprache – vermittelt über das Wahrnehmen und das Denken – zur Wirklichkeit steht. Machen wir uns das einmal an dem folgenden Schaubild deutlich.

Die Außenwelt:
Man sieht hier deutlich, dass der Mensch sich in einer Welt befindet, die ihn mit einem Strom von Impulsen überflutet. Manche nimmt er gar nicht bewusst wahr – etwa radioaktive Strahlung, bestimmte Tonhöhen sind auch nur für seinen Hund erkennbar – auch das gesamte Spektrum des Lichts wird nicht komplett wahrgenommen.

Die Sinne als Kontaktstelle:
Bestimmte Impulse werden auch sehr unterschiedlich von unseren Sinnesorganen in Verbindung mit dem Gehirn „interpretiert“. Das merkt man spätestens dann, wenn man mit einem Farbenblinden zu tun hat und von dem erfährt, wie er mit den Farben einer Verkehrsampel umgeht.
Was bei uns ankommt, hat also nur noch im Prinzip etwas mit dem „Ding an sich“ zu tun, dem wir ausgesetzt sind, das wir aber auf ganz eigene Art und Weise wahrnehmen.

Das Gehirn als große Etikettiermaschine:
Dann aber wird es beim Menschen spannend: Denn jetzt fängt sein Gehirn an, alle diese Impuls-Produkte zu ordnen, in Schubladen abzulegen und zum Beispiel ganz unterschiedliche Gegenstände als „Tisch“ zu bezeichnen. Der kann dann bei einer Party nur einen Fuß haben und sich uns in ange-nehmer „Lehn-dich-doch-auf-mich“-Höhe präsentieren. Oder aber er hat vier Beine, steht in der Küche und hat da eine ganz eigene Funktion, während ein Wohnzimmertisch von der Höhe her stärker der Couchhöhe angepasst ist. Wer ein Campmobil fährt, kennt vielleicht sogar einen Tisch, der außerhalb der Gebrauchszeiten senkrecht an der Wand herunterhängt.

Das Schlüsselwort für diesen Vorgang:
Interessant ist das Wort „Begriff“, das wir für diese Sammel-Etiketten verwenden. Es zeigt nämlich, dass ursprünglich Sinne im Stil waren – in diesem Falle vor allem die wichtige Hand, mit der wir greifen. Dann aber geschieht eine ordnende Verarbeitung im Gehirn, die dafür sorgt, dass wir am Ende, wenn wir etwas wirklich „begriffen“ haben, ein einigermaßen klares Bild von der Sache haben.

Fassen wir noch einmal vorläufig zusammen:
1.    Uns erreicht eine Welt, die wir nur entsprechend den Möglichkeiten unserer Sinne wahrnehmen.
2.    Unser Gehirn hat den Wunsch, diese Welt zu ordnen, vergleicht, ordnet zu, bildet gewissermaßen Schubladen.
3.    Die bekommen am Ende auch noch sprachliche Etiketten, die man Begriffe nennt.

Vertiefung der ersten Erkenntnise durch die Einbeziehung von ART-Texten
Das folgende Schaubild nimmt die Gedanken von eben noch einmal auf, erweitert sie aber durch die Informationen und Überlegungen von Schlüsseltexten, wie sie sich in verschiedenen Ausgaben des Oberstufenlehrbuches „Texte, Themen und Strukturen“, hier abgekürzt als TTS, finden. Wir nennen solche Texte abgekürzt „ART“-Texte, wobei die drei ersten Buchstaben für Abitur-Relevante-Texte stehen.
Dies Schaubild soll vor allem zeigen, wieviele Filter vorhanden sind, bevor wir über etwas sprechen können. Stellvertretend für all das, was zu der uns umgebenden Welt gehört, haben wir den Menschen und seine Welt mit einer Fülle von Begriffen "umrahmt", die natürlich in keiner Weise repräsentativ sind.

Was jetzt die Filter angeht: Da sind erst mal unsere Sinne - dann kommt die Sprache, die unser Denken stark beeinflusst. Schließlich kommen noch unsere spezifischen Vorstellungen hinzu, die wir mit Begriffen verbinden, was man "Konnotationen" (mitschwingende individuelle Bedeutungen) nennt.

Was im Schaubild noch zu kurz kommt und über die Konnotationen nur angedeutet wird, ist, dass wir uns natürlich auch eine eigene Welt in uns aufbauen - die dann eben auch auf die reale Welt zurück-wirkt. Nehmen wir nur das Wort „Unkraut“, es bezeichnet nicht die Wirklichkeit an sich, sondern in ihrer Bedeutung für uns. Die Indianer Amerikas haben manche „Unkräuter“ als „Heilkräuter“ entdeckt – und wenn wir das auch erkennen, ändert sich unsere Einstellung zu den Pflanzen, was sich auch in der Sprache ausdrückt.

Aber auch in unserem ganz privaten Umfeld können wir gestaltend und verändernd tätig sein. Das geschieht schon, wenn jemand seine Liebste als „Mäuschen“ bezeichnet und diese es sich gefallen lässt, obwohl sie sonst viel gegen Mäuse hat. Oder sie bezeichnet ihn als „ihren Knuddelbär“, während ande-re das nicht sofort nachvollziehen können.

Im Folgenden erläutern wir die einzelnen Positionen noch etwas genauer und ergänzen einzelne Punk-te durch eigene Beispiele bzw. Überlegungen.

Benjamin Lee Whorf: Das “linguistische Relativitätsprinzip” (1956)
(abgedruckt in der Ausgabe von „Texte, Themen und Strukturen“ (Cornelsen-Verlag), Ausgabe 2010, S. 481/2)
•    Sprache ist nicht nur ein Werkzeug, sondern sie formt auch die Gedanken, entsprechend dem „System“ der Muttersprache
•    Es handelt sich um eine „implizite“ (nicht direkt sichtbare, wohl aber wirksame), aber obligatorische Konvention, d.h. eine, der man sich nicht oder nur schwer entziehen kann.
•    Das hat Auswirkung auf die naturwissenschaftliche Sicht auf die Welt, je mehr Sprachen man kenne, desto breiter sei der Blick.
•    Das wirke sich aber erst aus, wenn man völlig fremde, andersartige Sprachen einbeziehe (weg also von den traditionellen Gymnasialsprachen Latein und Griechisch - hin zu indianischen oder afrikanischen Sprachen).

Dieter E. Zimmer: Auszug I: Wiedersehen mit Whorf (2008)
(abgedruckt in der Ausgabe von „Texte, Themen und Strukturen“ (Cornelsen-Verlag), Ausgabe 2010, S. 483)
•    Zimmer unterscheidet ein erstes, eher „schwaches“ Verständnis des Whorf-Ansatzes: Sprache erleichtert das Denken und beeinflusst es damit auch.
•    Daneben gibt es aber auch ein zweites Verständnis der „Relativitätsthese“ Whorfs: Sprache “fesselt” das Denken, man spricht dann sogar von Sprachdeterminismus, also einer Art Zwangsbestimmung. Relativ wird die These übrigens genannt, weil sie eben von einer Abhängigkeit des Denkens von der Sprache ausgeht.
•    Man muss nach Auffassung von Zimmer aber differenzieren: Wir können über die Grenzen der Sprache hinausdenken, das gilt zum Beispiel für Leute, die mit Sprache spielen, sie bis an die Grenzen und darüber hinaus „ausreizen“ – das gilt zum Beispiel für bestimmte Schriftsteller.
•    Beim Formulieren und Kommunizieren über Sprachgrenzen hinweg gibt es Probleme, weil je-de Sprache auf besondere Weise von ihrem Wortschatz und auch von der Grammatik bestimmt ist – vor allem Übersetzer kennen das als tägliches Problem.
•    Die lassen sich überschreiten, aber nur per bewusster Anstrengung [Anmerkung: Dichter tun das – wie oben angedeutet - bewusst, Jugendsprachler eher unbewusst]
•    Immer gibt es die Verlockung des Rückgriffs auf bekannte Muster – d.h. die meisten Menschen verharren weitestgehend in der tradierten Sprachnormalität.
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Dieter E. Zimmer: Auszug II: Wiedersehen mit Whorf (2008)
(abgedruckt in der Ausgabe von „Texte, Themen und Strukturen“ (Cornelsen-Verlag), Ausgabe 2002, S. 376/7)
•    Sprachen unterscheiden sich nicht willkürlich, es gibt ähnliche Konzepte entsprechend der ähn-lichen Welt
•    Besonders stark übereinstimmend bei konkreten Begriffen
•    dazu ähnliche Grammatiken
•    Bei abstrakten Begriffen größere Unterscheidungen wegen ihrer Kulturhaltigkeit
•    [Beispiel: “german Angst” oder “gelenkte Demokratie” in manchen Staaten]

"Leben ohne Zahl und Zeit" - Auswertung eines Spiegelartikels zur Sprache der Pirahã vom 24.4.2006:
Eine Bestätigung der These von Whorf?
https://www.schnell-durchblicken2.de/sprache-ohne-zahl-und-zeit-whorf



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