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Eichendorff, "Rückkehr" und Kafkas "Heimkehr"


Joseph von Eichendorff, "Rückkehr" - ein Gedicht gegen den romantischen Strich?

Hierzu gibt es auch ein Video.
Die Dokumentation dazu legen wir hier schon mal ab:

Hinweis zu einem zweiten Video, das wir zu Eichendorffs Gedicht im Vergleich zu einem Text von Kafka gemacht haben:
Das Video ist hier zu finden:
 Videolink
https://youtu.be/qr3vqkhygfY
Die Dokumentation haben wir auf eine eigene Seite verlegt.
Joseph von Eichendorff

Rückkehr

01 Mit meinem Saitenspiele,
02 Das schön geklungen hat,
03 Komm ich durch Länder viele
04 Zurück in diese Stadt.
  • Die erste Strophe beschreibt nüchtern die Rückkehr eines Musikers in seine Heimatstadt.
  • Im Vordergrund stehen Hinweise auf seine Erfolge: Er ist "durch Länder viele" gereist
  • und kann anscheinend zu Recht von sich sagen, dass sein Saitenspiel "schön geklungen" hat.

05 Ich ziehe durch die Gassen,
06 So finster ist die Nacht,
07 Und alles so verlassen,
08 Hatt's anders mir gedacht.
  • Die zweite Strophe präsentiert dann einen Kontrast.
  • Finsternis und Einsamkeit werden als negativ empfunden.
  • Hervorgehoben wird die eigene Enttäuschung.

09 Am Brunnen steh ich lange,
10 Der rauscht fort, wie vorher,
11 Kommt mancher wohl gegangen,
12 Es kennt mich keiner mehr.
  • Die dritte Strophe konzentriert sich dann auf einen typisch romantischen Ort, nämlich den Brunnen.
  • Der hat sich nicht verändert.
  • Wohl aber die Menschen, die vorbeigehen.
  • Interessant ist die Perspektive: Die Menschen kennen das Lyrische Ich offensichtlich nicht mehr, man könnte das ja auch anders herum formulieren.
  • Fast hat man den Eindruck eines Vorwurfs, der zur oben angesprochenen Finsternis passt.

13 Da hört ich geigen, pfeifen,
14 Die Fenster glänzten weit,
15 Dazwischen drehn und schleifen
16 Viel fremde, fröhliche Leut.
  • Erst diese Strophe setzt einen scheinbar positiven Akzent.
  • Auch hier gibt es Musik und hell glänzende Fenster,
  • hinter denen offensichtlich Feste gefeiert werden.
  • Offensichtlich wird dort getanzt,
  • aber auch hier sind es "fremde" Leute. Dieses negative Attribut bleibt bei den anderen haften.
  • Es gibt keine entsprechende Selbstreflexion.
  • Fremdheit wird mit Fröhlichkeit verbunden, ist also nichts für das Lyrische Ich.

17 Und Herz und Sinne mir brannten,
18 Mich trieb's in die weite Welt,
19 Es spielten die Musikanten,
20 Da fiel ich hin im Feld.
  • Die letzte Strophe beschreibt dann die abschließende Reaktion des Lyrischen Ichs auf diese spezielle Rückkehr-Erfahrung.
  • Das Lyrische Ich kommt in eine Stimmung, die romantisch angehaucht ist,
  • auch die damit verbundene erneute Lust auf die "weite Welt" ist typisch romantisch.
  • Der Schluss aber deutet an, dass diese zweite Rückkehr, nämlich in die "weite Welt", nicht positiv ausgeht.
  • Bei der letzten Zeile geht es wohl kaum um ein Irgendwo-Stolpern, sondern um den Tod in der Schlacht.
  • Das ist ja zur Zeit Eichendorffs eine durchaus vorstellbare Reaktion auf  ein Nicht-Ankommen in etwas, was man als Heimat sich gewünscht hat. Man zieht in irgendeinen Krieg - der Tod dort wurde als anständiger empfunden als ein Tod im Suff.

Einordnung dieses Gedichtes in die Kennzeichen der Epoche der Romantik

  1. Es gibt in dem Gedicht eindeutig romantische Motive, die Heimkehr, die Musik, Finsternis und Einsamkeit.
  2. Aber zumindest die beiden letzten Elemente werden als negativ empfunden.
  3. Überdeutlich ist die Trennung von Vorstellung und Wirklichkeit, die am Brunnen, einem weiteren typisch romantischen Ort, festgemacht wird. Hier ist er der Ort, an dem die Entfernung von den Menschen der ehemaligen Heimat schmerzhaft erfahren wird.
  4. Die vorletzte Strophe entspricht dann durchaus wieder einer Vorstellung der Romantik, bei der laute Feste nicht dem entsprechen, was in der eigenen Seele vorgeht. Dieses Lyrische Ich will nicht tanzen, es würde lieber seine eigene Musik machen - im kleinen Kreis am Brunnen, vor Leuten, mit denen es sich zumindest seelenverwandt fühlen könnte.
  5. Auch die letzte Strophe ist dann wieder typisch romantisch: Es ist das brennende Herz, das nach der Fremde drängt - wie wir es zum Beispiel aus dem Gedicht "Sehnsucht" kennen:
    ---
    "Das Herz mir im Leib entbrennte,
     Da hab ich mir heimlich gedacht:
     Ach, wer da mitreisen könnte
     In der prächtigen Sommernacht!"
    ---
    Nur ist das hier eben keine solche Sommernacht, sondern eine sehr moderne, in der sich Hoffnungen gerade nicht erfüllen und einem am Ende nur die Flucht in irgendeine große Gefahr mit eigener Erlebnisqualität bleibt - mit der Perspektive des eigenen Untergangs.
    Nichts mehr von Jenseitshoffnung oder wenigstens vom Gefühl des Gehaltenwerdens in einem größeren Sinn-Zusammenhang.
    Ein erstaunlich modernes Gedicht, das man bei Eichendorff gar nicht erwartet - eins, das zur Schattenseite der Romantik gehört.

Zwei Nachträge:

  • Man kann das Gedicht aber vielleicht auch so verstehen, dass das Lyrische Ich zu lange weggewesen ist und keinen Anschluss an die Heimat mehr findet.
  • Dafür spricht der etwas selbstgerechte Ansatz, der zu finden ist: Die anderen sind fremd - dass er auch fremd ist - und gerade er, kommt ihm gar nicht in den Kopf.
  • Ein anderer Ansatz bezieht eine uralte Weisheit der griechischen Vorsokratiker (Philosophen vor Sokrates) ein: Dort heißt es in einem Spruch:
    „Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht." und
    „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen."
    (https://de.wikipedia.org/wiki/Panta_rhei)
    Das macht deutlich, dass es keine Bindung an einen Ort ohne Zeit gibt. Die Zeit entfernt einen also von jedem Ort - und deshalb kann hier eine normale "Rückkehr" gar nicht stattfinden.

Die künstlerischen Mittel im Gedicht

Aus der Video-Dokumentation entnehmen wir die folgenden Elemente:
  • Motiv der Musik
    Zuerst macht das Lyrische Ich die Musik
    am Ende machen es andere Musikanten.
  • Spiel mit “kennen” (12)
    Das Lyrische ich geht immer davon aus, dass die anderen Leute es nicht mehr kennen.
    Es geht aber nicht davon aus, dass es selbst diese Leute ja auch nicht kennt, aber mit ihnen Kontakt aufnehmen könnte. Das ist eine entscheidende Gemeinsamkeit mit Parabeln von Kafka, etwa "Heimkehr" oder "Der Nachbar".
  • Gegensatz: fremd, fröhlich
    Hier zeigt sich der Gegensatz: Die anderen in der Heimat sind eine Gemeinschaft und können fröhlich sein. Das Lyrische Ich ist ausgeschlossen - oder fühlt sich zumindest so.
  • doppelte Rückkehr
    Das Lyrische Ich hat wohl an eine Heimkehr gedacht, die gelingt aber nicht - und deshalb kehrt das Lyrische Ich in sein Leben in der weiten Welt zurück, das aber auch nicht gelingt. Am Ende hat es anscheinend überhaupt kein Zuhause mehr und ist mit seinem Leben zu Ende.
  • Lakonischer Schluss
    Der sehr kurze, sarkastisch wirkende Schluss zeigt, dass das Lyrische Ich eben auch innerlich am Ende ist - und deshalb seinen Tod annehmen kann. Man wird hier an Ill in Dürrenmatts Drama "Der Besuch der alten Dame" erinnert, wobei es dort aber um Annahme einer objektiven Schuld ging - während die Dinge im Eichendorff-Gedicht komplizierter sind.
Noch ein Nachtrag:
Wir sind im Video am Ende nicht mehr auf die Bedeutung der Rhythmus-Störung in der letzten Strophe eingegangen. Man kann sie so interpretieren, dass die ersten drei Zeilen dadurch einfach zeigen, dass sein normales Leben nicht mehr harmonisch weitergehen kann. Das kann an seinem Alter, aber auch an seiner erfahrenen Heimatlosigkeit liegen. Auf jeden Fall wird es am Ende erst wieder "harmonisch" im wahrscheinlich selbstgewählten Tod.

Vergleich mit Kafkas Parabel "Heimkehr"

Wir präsentieren hier den Text mit kurzen vergleichenden Anmerkungen:
  • "Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind."
    • Eine ähnliche Situation, nur dass hier keiner ankommt, der von sich behaupten kann, er habe in der Welt etwas geleistet.
  • "Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn."
    • Im Unterschied zu Eichendorffs Gedicht ist Kafkas Heimkehrer von großen Selbstzweifeln bestimmt.
    • Typisch für einen epischen Text wird viel genauer auf das eingegangen, was einem fremd vorkommt.
  • "Und ich wage nicht an die Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will."
    • Bei Kafka wird der Ich-Erzähler immer unsicherer,
    • verliert sich in reinen Vorstellungen über die, die im Haus sein können.
    • Hervorgehoben wird die Dynamik des Nicht-Wagens. Fremdheit und Distanz werden immer größer.
    • Typisch für Kafka aber ist dann doch zumindest die Vorstellung, dass da jemand auf einen zukommen könnte.
    • Die wird dann aber auch wieder relativiert, indem der Ich-Erzähler seine Vorstellung von den anderen nun auf sich selbst bezieht.
    • So findet die Heimkehr nur in wahrscheinlich falschen Vorstellungen statt.
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