Ödön von Horváth
Geschichte
einer kleinen Liebe
Still wirds im Herbst, unheimlich still.
Es ist alles beim alten geblieben, nichts scheint sich verändert zu haben. Weder das Moor noch das Ackerland, weder die Tannen dort auf den Hügeln noch der See. Nichts. Nur, dass der Sommer
vorbei. Ende Oktober. Und bereits
spät
am Nachmittag.
In der Ferne heult ein Hund und die Erde duftet nach aufgeweichtem Laub. Es hat lange geregnet während der letzten Wochen, nun wird es bald schneien. Fort
ist die Sonne und die Dämmerung
schlürft über den harten Boden, es raschelt in den Stoppeln, als schliche wer umher. Und mit den Nebeln
kommt die Vergangenheit. Ich sehe Euch wieder, Ihr Berge, Bäume, Straßen – wir sehen uns alle wieder!
Auch wir zwei, du und ich.
Dein helles Sommerkleidchen strahlt in der Sonne fröhlich und übermütig,
als hättest du nichts darunter an. Die
Saat
wogt, die
Erde
atmet. Und
schwül
wars, erinnerst du dich? Die Luft summte, wie ein Heer unsichtbarer Insekten. Im Westen
drohte
ein Wetter und wir
weit vom Dorfe auf schmalen Steig, quer durch das Korn, du vor mir – –
Doch, was geht das Euch an?! Jawohl, Euch, liebe Leser! Warum soll ich das erzählen? Tut doch nicht so! Wie könnte es Euch denn interessieren, ob zwei Menschen im Kornfeld verschwanden! Und dann gehts Euch auch gar nichts an! Ihr habt andere Sorgen, als Euch um fremde Liebe
– und dann war es ja überhaupt keine Liebe! Der
Tatbestand
war einfach der, dass ich jene junge Frau
begehrte,
besitzen
wollte. Irgendwelche „seelische" Bande habe ich dabei
weiß Gott nicht
verspürt! Und sie? Nun, sie scheint so etwas, wie Vertrauen zu mir gefasst zu haben.
Sie erzählte mir viele Geschichten, bunte und graue, aus Büro, Kino und Kindheit, und was es eben dergleichen in jedem Leben noch gibt. Aber all das langweilte mich
und ich habe des öfteren gewünscht, sie wäre taubstumm. Ich war ein verrohter Bursche, eitel auf schurkische Leere.Einmal
blieb sie ruckartig stehen:
„Du«, und ihre Stimme klang
scheu und verwundet. „Warum lässt du mich denn nicht in Ruh?
Du liebst mich doch nicht, und es gibt ja so viele schönere Frauen.“
„Du gefällst mir eben“, antwortete ich und meine
Gemeinheit
gefiel mir überallemaßen. Wie
gerne
hätte ich diese Worte noch einigemale
wiederholt!
Sie senkte das Haupt. Ich tat gelangweilt, kniff ein Auge etwas zu und betrachtete die Form ihres Kopfes. Ihre Haare waren braun,
ein ganz gewöhnliches Braun. Sie trug es in die Stirne gekämmt,
so wie sie es den berühmten Weibern abgeguckt hatte, die für Friseure Reklame trommeln.
Ja, freilich gibt es Frauen, die bedeutend schöneres Haar haben und auch sonst –
Aber ach was! Es ist doch immer dasselbe! Ob das Haar dunkler oder heller, Stirn frei oder nicht
–
„Du bist ein
armer Teufel“, sagte sie plötzlich wie zu sich selbst. Sah mich groß an und gab mir einen
leisen Kuss. Und ging. Die Schultern etwas
hochgezogen, das Kleid
verknüllt
–
Ich lief ihr nach, so zehn Schritte, und hielt.
Machte kehrt und sah mich nicht mehr um.
Zehn Schritte lang lebte
unsere Liebe, flammte auf, um sogleich wieder zu verlöschen. Es war keine Liebe bis über das Grab, wie etwa Romeo und Julia. Nur zehn Schritte. Aber in jenem Augenblick
leuchtete die kleine Liebe, innig und geläutert, in märchenhafter Pracht.