Methodik: Wie interpretiert man epische Texte - von Kurzgeschichten bis zu Romanepisoden
Analyse von Epik-Episoden
Vorarbeiten: Erste Klärung des Objektes Wenn ein unbekannter Text(ausschnitt) präsentiert wird, geht es zunächst um das Was dessen, was man vorfindet. Dabei helfen ggf. begleitende Informationen. Bei einem bekannten Text spielt die Position im Gesamtwerk eine wichtige Rolle. Auf jeden Fall sollte man Autor, Titel des Werkes sowie - soweit bekannt - die Entstehungszeit nennen. Was:
Zum Beispiel die gemeinesame Besichtigung eines Hauses, das zum Traumhaus werden soll ("Sommerhaus, später") oder das nächtliche Geschehen in der Wohnung eines Ehepaars in einer Kriegsnotzeit (Borchert, Das Brot)
Erster Lese-Schritt In einem ersten genaueren Lese-Schritt sollte man sich den Inhalt
klarmachen, das Thema
und ggf. auch schon die Intention
(die Absicht, d.h. die Richtung, in die der Text geht). Zugleich geht es auch um die Art und Weise, wie dieses Ziel mit sprachlichen Mitteln im weitesten Sinne verfolgt wird.
Über den Text hinaus sollte man Kenntnisse des Hintergrunds, des Autors und ggf. auch der Thematik
einbeziehen – ggf. durchaus kritisch vergleichend. Dabei sollte man immer im Auge behalten, dass alle Aussagen über den Text aus dem Text selbst hervorgehen müssen. Die Einbeziehung des Autors erfolgt erst in einer über den Text hinausgehenden (externen) Interpretation
Eigentliche Schreibarbeit Wenn man sich ausreichend mit dem Text beschäftigt hat, kann man schon einmal einen Einleitungssatz
formulieren, in dem man den Text kurz mit Autor, Titel und Entstehungszeit vorstellt und dabei vor allem sein Thema benennt. Damit hat man zugleich schon eine These, die man im weiteren Verlauf der Untersuchung genauer begründet bzw. ausführt.
Untersuchungsaspekt Inhalt: Zunächst gibt man einen Überblick über den Inhalt, wobei man durch Hinweise auf eine mögliche
Rahmenhandlung, (kommt eher selten vor: Es erzählt jemand zum Beispiel in einem Roman eine Geschichte)
die Unterscheidung von Haupt- und Nebenhandlung,
die Klärung der Dominanz einer inneren oder äußeren Handlung, (innere Handlung: Gefühle, äußere Handlung = das, was man sehen könnte)
die Frage des Anteils von beschreibenden und handlungstragenden Passagen, (Beschreibung zum Beispiel des äußeren Erscheinungsbildes einer Figur, handlungstragende Passagen: zum Beispiel der Rauswurf einer Figur nach einer Beleidigung)
Überlegungen zum Spannungsverlauf (Spannungskurve mit Vorstellung von Höhepunkten unterschiedlichen Grades)
und zur Offenheit des Erzählten (typisch etwa der Schluss von "Sommerhaus, später", wo man nicht genau weiß, wer das Haus angezündet hat und was aus dem Besitzer des Hauses wird)
sowie zu den Motiven (wichtige Elemente für Inhalt und Aussage: Motiv der Dreiecksbeziehung, Motiv des Feuers usw.) mehr bieten kann als eine traditionelle Inhaltsangabe.
Bei der Handlung
fragt man sich, ob sie linear fortschreitet oder ob einzelne Teile eher lose miteinander verbunden sind. Eine andere Frage ist die, wie viel Dramatik enthalten ist. Zu unterscheiden ist darüber hinaus zwischen innerer und äußerer Handlung.
Das Geschehen ist in der Regel eingebettet in Zustände, die sich auswirken, auf die reagiert und die vielleicht verändert werden. (Die Besichtigung des Hauses in "Sommerhaus, später" ist zum Beispiel in die Geschichte der Beziehung zwischen der Ich-Erzählerin und dem Hausbesitzer eingebettet - eine Rolle spielt auch noch die Clique, die für die Ich-Erzählerin wichtig ist.)
Bei der Erzähltechnik
sind zu unterscheiden
die Erzählperspektive (auktorial, personal, Ich-Erzählung),
die Erzählhaltung (distanziert, engagiert, neutral, ggf. auch ironisch)
und die Verteilung verschiedener Darbietungsformen (Erzählbausteine):
Erzählerbericht,
Szenische Darstellung,
Innerer Monolog,
Erlebte Rede u.ä.)
Beim Untersuchungsaspekt Figurenkonstellation
geht es um die Unterscheidung von Haupt- und Nebenfiguren, ihre Charakteristik, ist diese individuell/originell oder werden eher Typen gezeichnet. Erfolgt die Charakterisierung direkt oder indirekt? Wie ist das Verhältnis der Figuren zueinander?
Was den Untersuchungsaspekt Zeit
angeht, geht es einmal um die Zeit, in der die Handlung spielt, dann um das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit (zeitraffend, zeitdeckend, zeitdehnend) sowie die Frage, ob die Zeit nicht für mehr steht, zum Beispiel symbolisch.
Was den Untersuchungsaspekt Ort
angehet, gibt es zunächst einmal den Ort, an dem das Geschehen sich abspielt, darüber hinaus kann der Ort aber auch Träger einer Stimmung sein oder – ähnlich wie die Zeit – symbolische Bedeutung haben.
Bei den sprachlichen Besonderheiten
geht es vor allem um die sogenannten rhetorischen Figuren,
z.B. Metaphern, Vergleiche. Aber auch die Häufung von Wortarten kann wichtig sein. Ist der Text eher para- oder hypotaktisch (viele Nebensätze oder eher mehr oder weniger komplizierte Kombinationen aus Haupt- und Nebensätzen), enthält er eher Standardsprache oder auch Dialektelemente? Im Idealfall zählt man sprachliche Besonderheiten nicht einfach nur auf, sondern geht auf ihre Funktion ein: Inwieweit unterstützen sie die Aussage der Geschichte bzw. der Episode.
Deutung
bedeutet immer, dass man dem Text einen Sinn
gibt, das heißt ihn in einen Verwendungszusammenhang
stellt. Zunächst einmal geht es um die textimmante Deutung und damit zum Beispiel die Frage, welche Themen dominieren und welcher Eindruck beim Leser erzeugt wird. Am Ende kann damit ein epischer Text zum Beispiel in besonderer Weise die Problematik der Liebe verdeutlichen oder Gewalt kritisieren.
Darüber hinaus kann eine textexterne Deutung
erfolgen – das bedeutet zum Beispiel, dass man den Stellenwert eines Textes im Werk des Autors oder in der literarischen Epoche beschreibt.
Am Ende gibt es bei Literatur dann immer auch die persönliche Sinnebene: Was fällt mir als Leser zu dem Text ein? Welche Beziehungen stelle ich her? Worauf „wende ich ihn an“?
Ganz am Ende kann dann auch eine Wertung
stehen. Dabei sollte zwischen einer sachlichen und einer subjektiven Ebene unterschieden werden. Auf der sachlichen Ebene kann man zum Beispiel feststellen, dass "Sommerhaus, später" für eine Kurzgeschichte etwas lang und auch relativ komplex ist. Auf der persönlichen Ebene kann man sich zum Beispiel über das Lebensgefühl der Clique auslassen - positiv oder auch negativ. Aber auch hier kann nur der Gedankengang in seiner Vielfalt, Differenzierung und Überzeugungskraft gewertet werden - nicht das "Geschmacksurteil" selbst.
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