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Nathan, I,3 Derwisch-Szene erklärt


Lessings "Nathan" in der Klasse 8: "Mit Kleidern fängt man Bettelmönche"

Unser besonderer Ansatz bei der Szene I,3 in Lessings Theaterstück

Lessings “Nathan der Weise” wird normalerweise in der Oberstufe gelesen.
Aber nicht nur die Ringparabel, sondern auch die Derwisch-Szene I,3 sind schon für jüngere Schüler interessant.
Dies kann zum Beispiel mit der Lektüre von Kellers “Kleider machen Leute” verbunden werden.
Wir haben deshalb die Szene für jüngere Schüler umgeschrieben und mit Fragen bzw. Anregungen versehen.


Lessings Derwisch-Szene in moderner Fassung

  1. Der reiche jüdische Handelsherr Nathan (N) trifft in Jerusalem seinen Freund, einen muslimischen Bettelmönch (D wie "Derwisch"), der ihn gleich anspricht, während er seine Kleider ins rechte Licht rückt.
  2. D: „Na, alter Freund, wie sehe ich aus?“
  3. N: Bist du es wirklich – ein Bettelmönch in solch einem Prachtgewand?
  4. D: Na ja, ich muss es tragen.
  5. N: Wieso denn das?
  6. D: Ich bin halt drum gebeten worden.
  7. N: Wieso denn das?
  8. D: Ach weißt du, der Sultan …
  9. N (erschrocken): Der Sultan?
  10. D: Nun ja, der Sultan hatte ein Problem und ließ mich rufen.
  11. N: Jetzt bin ich aber gespannt.
  12. D: Du weißt doch, der Sultan ist gerne freigebig gegenüber den Armen– wie jeder gute Moslem. Und da sind seine Kassen manchmal schneller leer, als es ihm lieb ist.
  13. N: Nun, dann muss er das Geld eben besser einteilen.
  14. D: Genau da lag sein Problem: Er hatte jemanden dafür eingestellt, der ziemlich genau bei den Bettlern hinsah. Sie mussten genau erklären, wieso sie in Not waren. Wer keine Gabe verdiente, bekam auch keine.
  15. N: Ja – und, wo ist das Problem?
  16. D: Nun ja, dieser Mann trat immer sehr streng auf – und das passte dem Sultan gar nicht. Schließlich gehören zu einem guten Herrscher auch Milde und Freigebigkeit. Und deshalb hat er mich gefragt…
  17. N: Dich, einen Bettelmönch?
  18. D: Genau deshalb: Ich selbst wüsste doch, was Armut sei – und da könnte ich das sicher am besten regeln. Und dieses Angebot hat mich dann sehr stolz gemacht und so habe ich zugesagt.
  19. N: Das verstehe ich nicht – man kann doch nicht gleichzeitig Geld ausgeben und gleichzeitig sparen.
  20. D: Nun ja, da hatte ich an dich gedacht – du bist noch mein Freund.
  21. N: Jetzt bin ich ja mal gespannt.
  22. D: Nun ja, ich dachte, wenn das Geld mal wieder zu Ende geht, könntest du dem Sultan Geld leihen.
  23. N: Und dann?
  24. D: Nun ja, du bekommst eben Zinsen.
  25. N: Auch Zinsen auf die Zinsen?
  26. D: Auch das.
  27. N: Dann werde ich wohl am Ende kein Kapital mehr haben, sondern nur noch Zinsen. Nein, nein so wird das nichts. Ich will auch weiter gerne unterscheiden zwischen dem Bettelmönch als meinem Freund und dem Schatzmeister des Sultans.
  28. D: Ach, Nathan, du hast ja Recht, in werde nicht warten, bis mein neues Gewand kaputtgetragen ist, ich werde es an den Nagel hängen und zurück zu meinen Derwischfreunden in die Wüste fliehen. Mach’s gut. (läuft weg)

Anregungen zum Umgang mit diesem Dialog

  1. Beschreibe das Problem des Sultans.
  2. Wie stellt er sich die Lösung des Problems vor?
  3. Wieso kann der Bettelmönch das Problem nicht lösen?
  4. Warum nimmt er das Angebot des Sultans trotzdem an?
  5. Wieso beginnt der Derwisch in den Nummern 22, 24 und 26 jeweils mit "Nun ja"?
  6. Warum lehnt Nathan es ab, seinem Freund zu helfen?
  7. Wieso kann man den Satz „Kleider machen Leute“ auch auf diese Geschichte übertragen?
  8. Wie könnte man den Satz fortsetzen oder abändern, so dass (auch) das Problem dieses Bettelmönchs mit ausgedrückt wird?

Ideen zur Lösung der Aufgaben

  1. Er möchte als Wohltäter erscheinen, hat aber nicht genügend Geld dafür.
  2. Er übergibt den Job dem Bettelmönch, damit er mit dessen Arbeit glänzen kann.
  3. Weil er natürlich noch weniger an frisches Geld kommt als der Sultan.
  4. Er sagt selbst, dass er sich geschmeichelt gefühlt hat.
  5. Weil er unsicher ist - das klingt nach Zögern.
  6. Weil er klug genug ist zu wissen, dass er die Probleme nur dadurch lösen kann, dass er selbst arm wird.
  7. Weil Kleider hier zum Amt des Schatzmeisters gehören und der Derwisch damit zunächst angibt.
    Novelle: Jemand wird wegen seiner Kleidung für einen Grafen gehalten und muss mit den Folgen leben -> rettende Entlarvung
    Drama: Jemand lässt sich mit einem Amt auch die Kleidung andrehen - und muss dann auch mit den Folgen leben -> Flucht
  8. “Kleider machen Leute, aber lösen nicht alle Probleme” (oder: “führen nicht automatisch zu mehr Geld!”)

Lessings "Nathan" und Brechts "Der gute Mensch von Sezuan"

Der folgende Ausschnitt aus der Szene erinnert stark an das Shen-Te-Shui-Ta-Dilemma in Brechts "Der gute Mensch von Sezuan"

Derwisch:
[... ]– Denn sein Schatz
Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch
Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst
Verlaufen –

Nathan:
Weil Kanäle sie zum Teil
Verschlingen, die zu füllen oder zu
Verstopfen, gleich unmöglich ist.

Derwisch:
Getroffen!

Nathan:
Ich kenne das!

Derwisch
Es taugt nun freilich nichts,
Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt's
Noch zehnmal weniger.


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