Jagoda Marinic, "Kurzbiografie" - eine Kurzgeschichte über ein Mutterleben voller Opfer, aber ohne Happy End
Die Geschichte ist u.a. zu finden in:
Erfahrene Erfindungen. Deutschsprachige Kurzgeschichten seit 1989, ausgewählt und mit Materialien versehen von Sabine Grunow (Editionen für den Literaturunterricht), Ernst Klett Schulbuchverlag, Leipzig 2004, ISBN: 978-3-12-351010-6, S. 25-28
Anmerkungen zu der Geschichte:
Die Geschichte beginnt etwas unklar mit Überlegungen zu den Themen Alter und Schönheit.
Dann wird aber deutlich, dass es hier um eine Frau geht, die "viel Männerarbeit" leisten musste, sich aber dennoch eine gewisse Schönheit erhalten hat - und zwar eine natürlich, ohne irgendwelche "Cremes". "Dafür war nie Zeit gewesen, dafür hatte es nie Geld gegeben."
Dann aber beginnt die Beschreibung einer ganz spezifischen Misere: Sie "strickt mittlerweile Pullover für ihre Enkelkinder", ohne sie zu sehen. Nur zweimal im Jahr kommen Fotos mit der Post.
Im nächsten Erzählschritt geht es dann um den Mann, dem sie diese traurige Situation verdankt: Sie hat ihn früh geheiratet, um den besseren Status einer verheirateten Frau in ihrem Dorf zu bekommen. Dafür ist sie dann aber auch dort geblieben, ihr Mann hat in Deutschland gearbeitet und sie hat die Kinder alleine aufziehen müssen. Geld ist da gewesen, aber eben kein Mann an ihrer Seite.
Später ist sie dann mit den Kindern ihrem Mann nach Deutschland gefolgt - aber richtig kümmern hat sie sich um sie nicht kümmern können, im Mittelpunkt stand das Geld für ein Hausprojekt in ihrem Dorf.
In der Gegenwart der Geschichte sitzt sie dort, die Kinder sind in Deutschland geblieben und kann nur noch Pullover für ihre Enkelkinder stricken. Die vielen Zimmer, die für die wachsende Familie gedacht waren, bleiben leer.
Die Geschichte endet damit, dass sie abends vor dem Schlafengehen für alle in der Familie betet, auch für ihren inzwischen gestorbenen Mann.
Insgesamt macht die Geschichte deutlich, welche negativen Begleitumstände zu all den Geschichten von der Integration von Menschen aus anderen Ländern und Kulturen gehören können: Hier hat ein Mann wohl gute Absichten gehabt, hat für seine Familie in seiner Heimat etwas aufbauen wollen. Aber die Kinder sind in Deutschland geblieben und haben dort Freunde gefunden - und die Ehefrau und Mutter bzw. inzwischen Großmutter bleibt auf eine Art und Weise allein und unglücklich, wie es früher dort im Dorf nicht denkbar gewesen wäre.
Es sind wohl vor allem zwei Aspekte, die diese nicht ganz einfach strukturierte Geschichte interessant machen:
Da ist einmal diese Frau, die in den Bahnen bleibt, die ihr die Gesellschaft und besonders ihr Mann vorschreiben. Ihr gelingt nicht die Einsicht und der Entschluss wie sie der Heldin in Peter Stamms Geschichte "Der Besuch". https://www.schnell-durchblicken2.de/kg-stamm-besuch Noch radikaler und erfolgreich verwirklicht sich "die unwürdige Greisin" in Brechts gleichnamiger Kurzgeschichte. Die muss nicht warten, bis ein glücklicher Zufall ihr zu neuem Leben verhilft, sie betreibt es von sich aus - zum Entsetzen aller anderen Familienmitglieder, die sie auf die Rolle der Witwe festlegen wollen, die sich außer Trauer nichts mehr gönnen darf.
Und es ist dieses Geldverdienen, das der Mann betreibt, ohne Rücksicht auf die Realität zu nehmen. Am Ende ist da ein Haus, aber die Familie ist zerstreut und es bleibt leer. Das erinnert an Heinrich Bölls Kurzgeschichte "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral", in der ein einfacher Fischer einem im Vergleich zu ihm wohlhabenden Touristen an Lebensweisheit deutlich überlegen ist. Er arbeitet, um zu leben, nicht umgekehrt. Infos zu Bölls Geschichte finden sich hier: https://www.endlich-durchblick.de/die-besten-kurzgeschichten-kurz-vorgestellt/b%C3%B6ll-heinrich-anekdote-zur-senkung-der-arbeitsmoral/
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