Wir haben damals mit dem Arbeitsbuch "Einfach deutsch" "Sprachursprung, Sprachskepsis, Sprachwandel" gearbeitet, das wir sehr empfehlen können.
https://www.westermann.de/schoeningh/artikel/978-3-14-022455-0/EinFach-Deutsch-Unterrichtsmodelle-Sprachursprung-Sprachskepsis-Sprachwandel
ZA 2013-T7: Aspekte des Sprachwandels in der Gegenwart: Einfluss neuer Medien
1. 2013-02-13: Was versteht man überhaupt unter Sprachwandel?
- Veränderungen im Lexikon (neue Wörter = semantische Relation) und in der Grammatik (Veränderungen in der Kombination von Wörtern = syntaktische Relation)
2. 2013-02-13: Wie kommt es dazu?
- Sprechen ist immer neu -> wie in der Biologie zu Mutationen, die allerdings in der Sprache nach de Saussures Modell der Konvention ablaufen -> Veränderungen der Norm und zum Teil auch des Systems
3. 2013-02-13: Aktuelle Beispiele für Sprachwandel:
- (Einfach-Deutsch-Sprachwandel)
- „weil“ wird zur nebenordnenden Konjunktion = betrifft schon das System der Sprache;
- Genitiv mit Apostroph = Angleichung an das Englische in der Flexion von Wörtern, eher eigentlich nur Schreibweise;
- Auto von Axel = aus analytischer Sprache wird eine synthetische;
- Kid und Kind = Anglizismus mit Funktion
- spannender „etwas macht Sinn statt hat Sinn“ = hier werden kulturelle Unterschiede übermalt.
4. 2013-02-13: Positionen zum Sprachwandel
- (Einfach-Deutsch-Sprachwandel)
- Keller: entspannte Position: Sprachwandel ist normales Phänomen, Exzesse zum Teil nur in der Werbung, also in Nischenbereichen, neue Wörter sind zum Teil präziser, differenzieren, z.B. Kids
- Krämer: konservative Position, sieht unnötige, ja gefährliche Verdrängung, weil Englisch z.T. falsch verwendet, z.T. nicht verstanden wird; angeblich erzeugen Anglizismen keine positiven Emotionen, dagegen spricht Konventions-Norm-Phänomen; notwendiges Ergebnis von Globalisierung und IT-Technisierung
- Kekulé: These: Man sollte beide Sprachen kennen, dann gibt es nicht mehr das Problem des falschen Englisch und des Nicht-genügend-Verstehens
5. 2013-02-13: Arten des Bedeutungswandels
- (Einfach-Deutsch-Sprachwandel)
- Bedeutungsverengung: Hochzeit, statt allgemein einer „hohen Zeit“ = Fest = nur noch Eheschließung
- Gegenbeispiel: Bedeutungserweiterung: Herberge = nicht mehr nur ein „Bergungsort“ für ein Heer, sondern für alle Gäste
- Bedeutungsverschiebung: merkwürdig = heute komisch, früher interessant, „bemerkenswert“
- Bedeutungsverschlechterung: Aus Weib = Frau wird Schimpfwort
- Bedeutungsverbesserung: Minister, Marschall
- Auch Kombinationen möglich: Spießbürger = Bedeutungsverschiebung und zugleich Bedeutungsverschlechterung
6. 2013-02-13: Ursachen des Sprachwandels
- (Einfach-Deutsch-Sprachwandel)
- Zunächst gesellschaftliche Ursachen:
- kulturelle Kontakte zu anderen Gruppen, siehe Anglizismen, früher französische Wörter
- kulturelle Entwicklung: neue Phänomene: Wutbürger
- Bsd. IT-Entwicklung: Smartphone
- Sprachliche Ursachen:
- Verlust an metaphorischem Gehalt: erfahren
- Ausspracheerleichterung: gehen
- Aber auch Zufallsprodukte – Freude am Sprachspiel: „Hallöchen“
- Abnutzung von Wörtern -> man sucht neue Starkwörter: toll, geil, superaffentittengeil
7. 2013-02-13: Dambeck-These zum Selektionsprozess
- Behauptet: seltene Wörter ändern sich eher
- Überzeugt nicht, gerade Häufigkeit führt zu Änderungen, vgl. Begrüßungsformeln: Hallöchen
8. 2013-02-13: Neue Wörter aus dem Netz:
- skypen
- bloggen
- Walkman wird zur Gattungsbezeichnung
- Vgl. Tempotaschentüchter
- Ipod eher nicht
- Überhaupt können Namen zu Begriffen werden: Vgl. Cäsar -> Kaiser
9. 2013-02-13: AB 86 Auf- und untergehende Wörter
- Zum Sprachwandel gehört auch, dass Wörter verschwinden und neue hinzukommen
- Zwei Ursachenkomplexe feststellbar: Zum einen gesellschaftliche-kulturelle Ursachen: Patchwork-Familie; Fallmanager beim Arbeitsamt, Auflaufkind im Fußballstadion
- Zum anderen technische Entwicklungen: Feinstaubbelastung, Memorystick, voipen
10. 2013-02-13: AB 87: Kulturelle Differenzen von Sprachen am Beispiel von „Sinn haben“ – „Sinn machen“
- Heute immer selbstverständlicher: Etwas macht Sinn = es ist sinnvoll, es zu tun.
- Ursprünglich tiefe kulturelle Unterschiede zwischen dem Deutschen, das nicht davon ausging, dass Sinn hergestellt wird, vielmehr ist er in den Dingen enthalten oder eben auch nicht, vgl. romantischer Dichter Eichendorff: „Schläft ein Lied in allen Dingen“
- Vgl. auch den Begriff der Schöffen (Beisitzer bei Gericht), die Recht „schöpfen“, es also aus den Traditionen herausholen und dann anwenden
- Im englisch-sprachigen Raum, bsd. aber in den USA gehört es zu den Grundvorstellungen, dass man alles machen, durch Tun erreichen kann – und so wird Sinn eben hergestellt.
- In einem tieferen Sinn ist die Übernahme aus dem Englischen aber nicht nur ein Ergebnis von Globalisierung, sondern eben auch der Moderne: Auch bei uns glauben die meisten nicht mehr, dass es einen Sinn irgendwo gibt, sondern wir stellen ihn für uns her (Verlust von Transzendenz).
11. 2013-02-13: AB 88: Psychologie des Sprachimporteurs
- Deutsch ist insgesamt eine sehr „importfreundliche“ Sprache: Fremdwörter, Lehnwörter, früher (Mittelalter, Renaissance) aus dem Lateinischen und Griechischen, dann während der Barockzeit aus dem Französischen, jetzt eben aus dem Englischen.
- Ein Grundproblem vieler Anglizismen ist, dass man sie „bewusstlos“ anwendet, d.h. ohne tiefere Kenntnis der Etymologie (Wortherkunft) und des tradierten Konnotationsgefüges oder auch der Stellung im Wortfeld. Es fehlt also das sprachliche Umfeld, man greift Einzelnes heraus.
- Dementsprechend „Simplifizierung“
- Häufig zu rein dekorativen, d.h. Werbezwecken, also ohne wirkliche Substanz
- Oder auch Exklusivität, man will sich weltläufig zeigen.
- Dabei dann auch Fehler (Come in and find out), die dann auch wieder aufgegeben werden, wenn sie nicht mehr positiv wirken.
12. 2013-02-13: AB89: Kommentar zur Anglizismenkritik
- 1. Behauptung: Anglizismen sind überflüssig -> Normalerweise ist in der Sprache nichts überflüssig, meistens sind damit zumindest Nuancen verbunden, vgl. Kids, Briefing, Outfit
- 2. Behauptung: Verständigung wird erschwert: Das gilt für jedes neue Wort – und in gewisser Weise sind Anglizismen eben auch neue Wörter, die per Konvention zur Norm werden – und das bedeutet eben auch einen Lernprozess.
- 3. Behauptung: Anglizismengebrauch ist häufig nur Angeberei und Imponiergehabe: Daran kann etwas Richtiges sein, aber „angeben“ gehört zum Leben, das kann man auch mit Fremdwörtern, siehe oben: Stichwort „Exklusivität“ (AB88)
- 4. Behauptung: Die Deutschen flüchten aus ihrer Sprache, weil sie ein Identitätsproblem haben – wegen der NS-Zeit: Auch Deutsch-Schweizer nutzen Anglizismen und sie haben keinen Anteil an den NS-Verbrechen – die Amerikaner „leiden“ unter spanischen Importen (siehe AB90) – eher ein grundsätzliches Phänomen des Sprachwandels – vgl. auch die Französisch-Hochzeit im 18. Jhdt.
13. 2013-02-13: AB 90: Deutscher: Unglückliche Sprachen
- Sorge um die eigene Sprache gibt es überall und schon lange (z.B. Tucholsky 1918) – wie die Kritik an der jeweiligen Jugend – man vergisst, dass die jeweils aktuelle Sprache ein Produkt von Importen und Veränderungen ist.
- Besonders krass waren in Deutschland die Sorgen um 1899 gegenüber dem Einfluss des Englischen
- Aber auch die Engländer machen sich Sorgen – wegen des Einflusses des Amerikanischen
- Das ist wiederum bedroht vom Spanischen
- Deutlich wird hier, dass Sprachbewusstsein immer nötig ist, es aber kein spezielles Problem von Anglizismen im Deutschen gibt.
14. 2013-02-13: AB 92: Ausgewanderte Wörter
- Das wird auch deutlich daran, dass andere Sprachen deutsche Wörter übernommen haben
- Berühmt ist „the german Angst“ oder auch „la Mannschaft“ im Französischen für die deutsche Nationalmannschaft; berühmt ist auch „the Kindergarten“, die Russen wiederum hatten unter dem deutschen „Blitzkrig“ [sic] zu leiden und haben den Begriff übernommen. Die Finnen haben sich für „besservisseri“ entschieden.
- Witzig ist die Erklärung für das Wort „Schadenfreude“ im Englischen – man habe es aus dem Deutschen übernehmen müssen, weil man nicht habe zugeben wollen, dass man auf der Insel so unedle Gefühle hat.
15. 2013-02-13: Lennart-Katharina 1: Netzsprache und offizielles Englisch
- Das offizielle englische Wörterbuch (Oxford English Dictionary) hat inzwischen Initialwörter (Wörter, die aus Anfangsbuchstaben gebildet werden) wie OMG = „Oh My God“/„Oh My Goodness“ oder LOL = „Laughing Out Loud“/„Lots Of Laughing“ bzw. „Lots Of Luck“/„Lots Of Love“ aufgenommen.
- Das zeigt die Bedeutung der Internet-Kommunikation, die entsprechende “Konventionen“ hervorgebracht haben, die inzwischen zur „Norm“ gehören – und darum stehen sie im Lexikon
- In diesem Fall wird etwas als „Norm“ (normaler = lexikonwürdiger Sprachgebraucht) anerkannt, wenn es allgemein verstanden sind und mindestens fünf Jahre „auf dem Markt“ ist.
16. 2013-02-13: Lennart-Katharina 2: Geschwätzigkeit der Internet-Kommunikation
- Besonderheit der Internet-Kommunikation ist, dass sie synchron und damit besonders schnell erfolgt – eben wie mündliche Kommunikation
- Allerdings ohne deren Begleitung durch Mimik, Gestik, Körpersprache allgemein – deshalb braucht man ja auch Emoticons wie ;-) damit man nicht missverstanden wird.
- Die Schnelligkeit bedeutet zugleich einen Abbau an Nachdenklichkeit und Sorgfalt im Formulieren und in der Beachtung von Regeln.
- Dazu kommt die Copy and Paste-Möglichkeit, d.h. man übernimmt in viel höherem Maße Fremdes und gibt es mehr oder weniger unkommentiert weiter, als dass man wie früher fast ganz „aus sich selbst“ schöpfen musste oder eben maximal etwas Schlaues von irgendwoher abschreiben konnte.
- Zum Vergleich: Ein Brief wurde früher förmlich „aufgesetzt“, man dachte intensiv dabei nach, nahm sich auch die Zeit, musste dann Tage oder Wochen warten, bis Antwort kam – eine deutliche Entschleunigung im Vergleich zu heute.
17. 2013-02-13: Lennart-Katharina 3: Sprachwandel und Darwin-Lamarck
- Im Unterricht hatten wir das Bild der Evolution verwendet, um zu zeigen, dass sich in der Sprache eben das durchsetzt, was von den Sprechern am meisten als „passend“ (fit) gehalten wird.
- Das Problem dabei ist aber, dass Evolution etwas zu tun hat mit Abstammung und damit mit Generationswechseln – der lange Hals der Giraffe entsteht nicht dadurch, dass sie ihn immer nach oben streckt, sondern durch Selektion unter den Nachkommen. Die mit dem fressgünstigsten Hals haben die größten Chancen, ihre Gene an Nachkommen weiterzugeben – und so haben immer mehr junge Giraffen einen langen Hals.
- Besser passt also die biologisch falsche, aber sprachlich richtige Theorie von Lamarck – in der Sprache werden „erworbene Veränderungen“ wirklich „vererbt“, also weitergegeben, aber eben noch während der eigenen Lebenszeit. Wenn immer mehr Leute sagen, „weil – ich habe keine Zeit“ – dann taucht die Konstruktion irgendwann auch in der Tagesschau auf – zumindestens in eingespielten Politiker-Interviews.