- Allgemeines Verständnis von Intention im Sinne von Absicht: "Intention" heißt zunächst einmal "Absicht". Meistens geht es um das, was jemand erreichen will, wenn er etwas tut: "Die Intention bzw. die Absicht des Zwischenrufes war, auf sich aufmerksam zu machen."
- Die mögliche Trennung von Autor-Intention und Text-Intention: Wenn jemand einen Text schreibt oder auch nur etwas sagt, dann kann sich allerdings die "Intention" (hier ist eher so etwas wie die "Aussage" gemeint) des Textes von dem unterscheiden, was der Verfasser eigentlich sagen wollte: Wenn zum Beispiel ein noch unerfahrener Arbeitgeber seinem ebenso unerfahrenen Arbeitnehmer ins Zeugnis schreibt: "Herr Meier hat sich stets bemüht...", dann kann er das durchaus positiv meinen. Das entsprechende Arbeitszeugnis enthält aber auch, dass er sich erst mal nur bemüht hat. Wenn dann nichts zum Ergebnis gesagt wird, dann kann das sehr negativ aufgefasst werden.
- Die Selbstständigkeit literarischer Texte: Wenn jemand einen Roman oder ein Gedicht schreibt, dann wählt er einen Erzähler bzw. ein Lyrisches Ich und lässt es für sich sprechen. Dieses "für sich" ist jetzt doppeldeutig. Zunächst einmal schafft sich ein Autor damit einen Stellvertreter, der auch Dinge sagen kann, die der Autor nie zu sagen wagen würde: "Ich habe meine Schwiegermutter erschlagen" ist in der Wirklichkeit der Anstoß zu einem Haftbefehl, in einem Roman dagegen ein interessanter Ausgangssatz Wegen dieser grundsätzlichen künstlerischen Freiheit auch in der Literatur sollte man deshalb nie einfach den Autor und den Sprecher in einem Gedicht oder den Erzähler in einem Roman gleichsetzen. - auch wenn der Autor fast identisch mit seinem literarischen Geschöpf zu sein scheint. Das herauszufinden ist aber die Aufgabe der Literaturgeschichte, die Autor und Werk untersucht - der Text selbst ist nur ein Kommunikationsangebot an den Leser. Der Autor kann hinterher nicht sagen: Das habe ich aber ganz anders gemeint.
- Spannend wird es nun, wenn es um die Intention im Sinne von Aussage eines Gedichtes zum Beispiel geht. Da in solchen Texten nur das lyrische Ich spricht, geht es zunächst einmal um seine Aussage. Wenn man aber den schönen Hilfssatz verwendet: "Das Gedicht zeigt ...." und dann verschiedene Aussagen, die man dem Gedicht entnehmen kann, anhängt, entfernt man sich schnell vom Lyrischen Ich als dem Sprecher in einem Gedicht. Man sagt dann nicht mehr: "Das Gedicht zeigt, dass das Lyrische Ich zum Beispiel das Fabrikleben um 1900 als eng und menschenfeindlich ansieht, sondern man ordnet diese Aussage dem Gedicht zu und verallgemeinert es damit. Damit ergibt sich eine relative Allgemeingültigkeit, bei der der Leser sein Verständnis schon mit einbringt. Zeigen wir das am folgenden Gedicht:
Lars Krüsand,
Einsamkeit
Niemand ist eine Insel
heißt es.
Nur: Warum sehe ich kein Land,
wenn ich um mich blicke?
Was hilft es mir,
wenn die Wasser
des Stillen Ozeans
mich mit anderen Weltgegenden
verbinden?
Deswegen höre ich noch nicht
ihre Stimmen, sehe auch nicht
ihre Bewohner, kann nicht
Freund werden und bleibe
einsam.
Die Aussage des Gedichtes ist darauf aufmerksam zu machen, dass es nicht reicht, wenn es irgendwo andere Länder mit eigenem Leben gibt. Man muss es sehen, hören, spüren, für sich nutzen können. Andernfalls bleibt man einsam.
Diese Aussage gilt für das Lyrische Ich, vielleicht auch für den Verfasser des Gedichtes, wahrscheinlich sogar - denn meistens meinen Lyriker das durchaus ernst, was sie schreiben, und spielen nicht einfach nur mit Gedanken und Worten.
Aber wenn man sagt:
"Das Gedicht zeigt, dass es nicht reicht wenn es irgendwo andere Länder mit eigenem Leben gibt. Man muss es sehen, hören, spüren, für sich nutzen können. Andernfalls bleibt man einsam."
Dann ist das natürlich eine unzulässige Verallgemeinerung, die nur berechtigt ist, wenn der Leser diesen Gedanken nicht nur in der Analyse als Aussage des Textes erkennt, sondern in einer Interpretation ihr einen über das Gedicht hinausgehenden Sinn gibt. Der Leser erkennt dann die Aussage für sich und letztlich als allgemeingültig an.
Das Schöne an Literatur: Wer anderer Meinung ist, kann ja ein eigenes Gedicht schreiben - mit einer ganz anderen Aussage ;-)