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Der Kulturbegriff nach Clifford Geertz


Der Kulturbegriff nach Clifford Geertz - Infos und Anmerkungen

Der Kulturbegriff nach Clifford Geertz spielt in der heutigen Wissenschaft und damit auch in der Schule eine große Rolle. Deshalb versuchen wir hier, ihn zunächst einmal kurz zu beschreiben und dann kritisch zu kommentieren. Damit möchten wir eine offene Diskussion mit dem Ziel bestmöglicher Klärung.

Schritt 1: Auswertung von Wikipedia-Artikeln

Schauen wir uns zunächst einmal den Wikipedia-Artikel zu Clifford Geertz an und überlegen, welche der dort zu findenden Informationen für die Sache und für die Diskussion darüber besonders interessant sind.
https://de.wikipedia.org/wiki/Clifford_Geertz
  1. Von seinem Werdegang her ist interessant, dass er sich zunächst der Philosophie zugewandt hat und dann eher zufällig zur Ethnologie, also zur Völkerkunde, gekommen ist.
  2. Er hat dann mit seiner Frau Forschungen vor allen Dingen in Asien und Nordafrika betrieben und auch hohe wissenschaftliche Anerkennung gefunden.
  3. Gestorben ist der 2006 im Alter von 80 Jahren.

  4.  Zum Kern seiner Vorstellung von Kultur gehört, dass es ihm vor allen Dingen auf die Qualität der Deutung ankommt, die am Ende in einer so genannten "dichten Beschreibung" mündet. Mit diesem Begriff müsste man sich noch genauer beschäftigen. Wikipedia verweist dabei auf Gilbert Ryle sowie parallele Entwicklungen in der Geschichtswissenschaft.
    1. Eine kurze Recherche macht bereits deutlich, wie sehr dieser Mann Sprachphilosoph war. Sein wichtigstes Werk wurde 1949 veröffentlicht.  
    2. In ihm wendet sich Ryle gegen die Trennung von Geist und Körper. Er sieht also eine viel engere Verbindung von Bewusstsein und körperlicher Tätigkeit, als man es sich gemeinhin vorstellt. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, dass Gertz das kulturelle Bewusstsein sehr stark von Handlungen ableitet.
    3. Hypothetisch verstehen wir deshalb hier erst einmal eine "dichte Beschreibung" als eine, die eben sehr stark von der physischen Realität ausgeht und dort eben auch geistige Prozesse wieder zu finden glaubt.
    4. Interessant ist der Hinweis, dass dieser Forscher heute in der Philosophie eher unpopulär geworden ist. Das müsste gegebenenfalls genauer geprüft werden, ob das auch Auswirkungen auf seinen Schüler Geertz im Bereich der Kultur hat.
  5. Geertz vertritt, wie wir in Wikipedia erfahren, poststrukturalistische und kulturrelativistische Positionen. Natur und wissen begreift er als lokales Wissen.
    1. Ganz kurz zum Poststrukturalismus: Der vertritt die These, dass Sprache die Realität nicht nur wiedergebe, sondern auch schaffe. Geertz dreht das in gewisser Weise um und macht deutlich, dass die Realität viel über die Sprache und das dahinterstehende Bewusstsein verrät.
    2. In der Konsequenz bedeutet das, dass es für ihn keine verbindlichen universalistischen Moralvorstellungen gibt. Das ist natürlich eine Position, die der hier im Westen vertretenen völlig widerspricht und auch zum Beispiel den allgemeinen Menschenrechten, wie sie die Vereinten Nationen formuliert haben.
      Das ist sicher einer der interessantesten Punkte bei einer Diskussion des Kulturbegriffs von Geertz.
      Dahinter steckt letztlich die Frage, ob Multikulturalismus im Sinne von Gleichwertigkeit der Kulturen auch bedeutet, für uns unmenschlich wirkende Elemente fremder Kulturen zu akzeptieren.

  6. Recht hat 'Geertz sicherlich, wenn er verlangt, dass man als Mensch lernen müsse, sich zwischen den Kulturen zurecht zu finden. Bei der Wissenschaft gehe es besonders darum, dass man die zum Teil gegensätzlichen Strukturen durchschaue und dann auch die Wendungen herausarbeiten könne.
    Kultur ist also für Geertz etwas, was ständig im Wandel ist.
    Die Frage wäre hier, ob er den stabilisierenden Charakter von Kultur zu wenig sieht.
  7. Auf jeden Fall ist er der Meinung, dass der Kulturbegriff der Moderne (auch mit seinen humanistischen Ansätzen) am Ende des 20. Jahrhunderts zerbrochen sei.

  8. Am Ende des Wikipedia-Artikels heißt es dann, dass Geertz' Definition von Kultur in den Kulturwissenschaften heute immer noch populär sei. Wichtig dabei ist, dass sie auf zeichenhaften Bedeutungen beruht.
  9. Kultur wird von Geertz verstanden als "selbst gesponnenes Bedeutungsgewebe" (so die Wikipedia) , das sich aber stets in Herstellung und Wandlung befindet und auch umgedeutet werden kann. Kultur sei niemals objektiv und zeige sich im alltäglichen Tun des Menschen. Besonders der letzte Hinweis ist natürlich sehr wichtig.

  10. Am Ende wird noch einmal darauf hingewiesen, dass Kultur für Geertz gewissermaßen ein Code ist, also ein Text in einer bestimmten Sprache. Die Aufgabe sei es, den symbolischen Gehalt dieses Textes in seinem Code zu entschlüsseln.

  11. Damit ist Geertz ganz nahe bei der Hermeneutik, also der Lehre vom Verstehen.
    Der Mensch wird von ihm als Text betrachtet, der gewissermaßen gelesen werden könne.
    Eine hochinteressante Vorstellung, besonders auch für die Schule. Denn damit kann möglicherweise die Distanz von Schülern zu Texten aufgehoben werden, wenn man ihnen klarmachen kann, dass sie dasselbe mit Texten machen, wie sie es auch mit Menschen machen müssen, wenn sie sie verstehen wollen.
    Hier kann vertieft der Begriff und das Verfahren der Hermeneutik eingebracht werden.

Schritt 2: Auswertung der kritischen Würdigung durch Harald Klinke

Auf der Seite:
http://www.harald-klinke.de/archiv/texte/sa/GEERTZ.htm
findet man eine sehr interessante Würdigung des Kulturbegriffs von Geertz.
Es handelt sich um einen Info-Text zum Wintersemester 1999/2000.
Wir kommentieren hier mal die interessantesten Punkte.

  1. Als zentrales Problem wird ziemlich am Anfang schon aufgeworfen, inwieweit man den ethnologischen Ansatz der Betrachtung fremder Kulturen auch auf die eigene anwenden kann.
  2. Damit verbunden ist die Frage, ob Erkenntnisse aus dem Bereich der Ethnologie auch auf die sogenannten Kulturwissenschaften angewendet werden können.
  3. Hier taucht wieder das Problem auf, dass im ersten Falle eher eine distanzierte Betrachtung möglich ist, im zweiten Falle ist der Betrachter selbst Teil des kulturellen Systems.
  4. Klinke sieht das eher als Vorteil und glaubt an Verständigung durch Sprache - wir sind da eher skeptisch, vor allem wenn eigene Interessen ins Spiel kommen. Zum Beispiel das Interesse, einem aktuellen Trend zu entsprechen, der sich möglichst von alten Betrachtungen entfernen will (Stichwort: innovativ sein!).
  5. Oder konkreter: Man möchte gerne dabei sein, wenn sich die Kulturen verstehend gegenseitig umarmen, übersieht aber, dass die "eigensinnige Logik des kulturellen Lebens" viel mit Irrationalität oder auch mehr mit Macht als mit Wahrheit  zu tun hat.
  6. Uns fällt dann immer der Satz ein, den der Schriftsteller Büchner seinem Helden Danton im gleichnamigen Drama gleich am Anfang in den Mund legt: Dort stellt der Revolutionsheld gegenüber seiner Ehefrau resignierend fest:
    "DANTON. Was weiß ich! Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab, – wir sind sehr einsam.
    JULIE. Du kennst mich, Danton.
    DANTON. Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieber Georg! Aber Er deutet ihr auf Stirn und Augen. da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. –"
    http://www.zeno.org/Literatur/M/B%C3%BCchner,+Georg/Dramen/Dantons+Tod/1.+Akt
  7. Kritisiert wird, dass Geertz sich doch auf recht simple Vorgänge konzentriert und sie zu wenig in größeren sozialen Zusammenhängen interpretiert. Nicht von ungefähr sieht er die Kultur ja vor allem als semiotisches Phänomen - die Soziologie lässt er völlig aus.
  8. Ansatzweise wird auch kritisiert, dass Geertz weitgehend auf die Herausarbeitung allgemeiner kultureller Phänomene und Regelungen verzichtet. Er hält wohl nicht viel von den "kultursensiblen" Vorbereitungsseminaren auf Auslandsaufenthalte von zum Beispiel Managern. Dahinter steckt doch eine ziemliche Verachtung des ersten Schrittes hin zu einem Gesamtverständnis - und der kann auch darin bestehen, dass man in Japan der überreichten Visitenkarte eben mehr Aufmerksamkeit schenkt, als es in Deutschland der Fall ist, wo man sie nur für die Kontaktverarbeitung verwendet.
  9. Ein ganz großes Problem ist sicher die Grundhaltung des Geertzschen Ethnologen, der letztlich immer noch bei analytischer Herablassung bleibt, auch wenn er ansonsten ganz tief in die fremde Kultur eintauchen, sie dicht an sich heranlassen will.
    Wir sagen dabei nur mal: Wie wäre es mit dem Aufbau gegenseitigen Vertrauens, einem möglichst offenen Austausch und der Bereitschaft seine Erfahrungen in einen fortlaufenden Annäherungsprozess zu verwandeln?!
  10. Und wie wir schon sagten: Wir sind nicht so optimistisch, was das Verständnis der eigenen Kultur angeht. Richtig ist allerdings, dass man tatsächlich sich selbst und seine Kultur besser begreift, wenn man sie mit alternativen Lebenskonzepten vergleicht.
Insgesamt also präsentiert Geertz einen sehr interessanten Ansatz, der von Handlungen als Ausdruck von Kultur auf diese zurückschließen will.
Sein Ansatz greift aber zu kurz, wenn er nicht auch bereit ist, kultureller Handlungen in größeren sozialen Kontexten zu sehen und zumindest versuchsweise zu generalisieren, denn es gibt keinen Fortschritt, wenn nicht jemand einen Baustein hingelegt hat, den man übersteigen muss, aber durch den man überhaupt erst höhersteigen kann.

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