Das folgende Schaubild soll den "Schlagabtausch" zwischen Interviewer links und Autorin rechts sichtbar machen.
Die Nummern beziehen sich auf die Absätze des Interviews, wie es im Internet zu finden ist. Dazu weiter unten mehr.
Im Folgenden schon mal die Auswertung unter dem Gesichtspunkt, was an dem Interview sich gut mit Schülern besprechen lässt - nicht nur auf die Erzählung bezogen.
- Interessant für ein Gespräch mit den Schülern könnte vor allem der Punkt A4 und A8 sein, in dem es darum geht, dass Judith Hermann in ihre Figuren eine hat Wunschvorstellung hinein legt. Damit wäre man bei dem Thema, warum jemand überhaupt schreibt. Die Figuren schaffen zumindest teilweise das, was sie selbst so nicht schafft, ohne dass sie deshalb zu Helden würden oder zu Übermenschen.
- A9-A12: Inwieweit ist heute Sprache überhaupt noch in der Lage, Liebe auszudrücken - also das tiefste und komplexeste Gefühl, das ein Mensch haben kann? Daraus macht Judith Hermann die Frage, ob es überhaupt Liebe so gibt, wie wir sie uns gemeinhin vorstellen.
- A13-A14: Hier geht es um das Spannungsverhältnis von individueller Freiheit und Verantwortung, die sich auch darin zeigt, dass man für sich und andere Ziele setzt und verfolgt.
- A16: Woher nimmt Judith Hermann die Sicherheit, dass Stein nach seinem Scheitern mit dem Hausprojekt "neue Möglichkeiten finden und sich dem stellen" wird?
- A18: Kann man Steins Scheitern wirklich auch als Sieg bezeichnen? Hat nicht übrigens die Ich-Erzählerin nach 6 Wochen mit dem Rausschmiss Steins aus ihrer Wohnung auch eine Entscheidung getroffen? Ist sie der Steins vergleichbar?
- A20: Mit welchem Recht nimmt die Autorin an, dass die Ich-Erzählerin endgültig jede Chance verpasst hat, mit Stein zusammen zu sein? Kann man die Geschichte nicht weiterschreiben, dass zum Beispiel der Schreibprozess bei der Autorin doch am Ende etwas auslöst und sie nach Stralsund fährt und eine neue Begegnung sucht?
- A21 und A21a: Gibt es heute eine "postmoderne Befindlichkeit der Beliebigkeit"? Vgl. den Slogan "Anything goes!"
- A40/41: Wieso gibt es die Möglichkeit des romantischen Schreibens nur beim ersten Buch?
- A45/46: Wie wird ein Autor erfolgreich - bzw. bekommt überhaupt die Möglichkeit, professionell zu schreiben?
- A47/48: Wie geht es einem Autor direkt nach dem ersten Buch?
Ein zweiter Aspekt wäre die Kombination von I9 und A10, da geht es nämlich zum einen um die ganz allgemein skeptische Sicht auf die Möglichkeiten der Liebe zwischen Menschen. Ich denke mal, dass das Schüler durchaus zu Widerspruch verlocken kann. Dann geht es um die Frage, ob man überhaupt in der Lage ist, Gefühle der Liebe angemessen sprachlich auszudrücken. In diesem Zusammenhang sind natürlich heutige zum Teil sehr originelle Heiratsanträge interessant. Da gibt es ja diese Fußballer zum Beispiel, die auf der Stadion Leinwand plötzlich eine Liebeserklärung präsentieren lassen. Schülern fallen sicher noch andere Beispiele ein.
Wir setzen die entsprechende Auswertung des Interview noch weiter fort - A12 bedeutet, dass bis jetzt etwa ein Viertel geschafft ist.
Auf jeden Fall können wir dankbar sein, dass eine junge Autorin bereit war, auf gut gestellte Fragen auch ausführlich und ehrlich zu antworten.
Leitfaden zu dem Interview, das Matthias Prangel mit Judith Hermann über ihr Erstlingswerk "Sommerhaus, später" im Jahre 2001 führte. Es geht um einen schnellen Überblick, mit dem Ziel, die Probleme, Thesen und Informationen zu finden, über die man gut diskutieren kann.
Die Verweisen beziehen sich auf die Fassung des Interviews, die im Internet auf der folgenden Seite zu finden ist:
https://literaturkritik.de/id/5689
Um einfach und schnell auf bestimmte Teile des Interviews verweisen zu können, haben wir einfach die Absätze durchnummeriert. Im Folgenden nennen wir kurz den Beginn des Abschnitts und gehen dann genauer auf seinen Inhalt ein:
- ("Frau Hermann, es existiert bislang ...)
Der Interviewer steigt ein mit dem Hinweis, dass die Erzählungen des Sammelbandes "Sommerhaus, später" alle "ganz unspektakulär" seien, "arm an äußerlicher Handlung und dramatischer Spannung". Dafür hätten sie aber eine "enorme innere Spannung". Daraus leitet er die Eröffnungsfrage ab nach der für so etwas notwendigen Lebenserfahrung einer beim Schreiben des Buches erst 27jährigen.
- ("Wenn man nur geahnt ...)
Judith Hermann verweist darauf, dass sie schon das geschrieben habe, was sie empfindet, aber das sei kein "reflektiertes Lebensgefühl" gewesen, also nicht ein wirkliches "Wissen über das Leben. Eher etwas Intuitives und ganz Unbewusstes".
- ("Die Geschichten, an wie unterschiedlichen Orten ...")
These des Interviewers, Judith Hermann habe keine politischen, jedoch eminent gesellschaftliche Texte geschrieben, "die möglicherweise geradezu paradigmatisch den geistigen Zustand dieser unserer Zeit ins Licht rücken". Er vermutet eine "postmoderne Befindlichkeit nachdem Ende aller Eindeutigkeiten." Jetzt möchte er wissen, ob die Autorin sich dem gegenüber "in einer eher affirmativen oder einer eher kritisch-distanzierten Affinität" befinde.
- "Ich glaube einerseits...)
Antwort der Autorin: "Einerseits bin ich genau wie meine Figuren, anderseits bin ich aber auch hier ganz gegenteilig." Sie schildert das Problem, dass sie beim Schreiben voller Gefühle ist, aber gegen diese Gefühle anschreiben muss: "Die Figuren sind immer ein bisschen so, wie ich mir wünschte sein zu können." Dabei geht es ihr vor allem um Gelassenheit. Sie ist erschrocken darüber, dass Kritiker ihr vorgeworfen haben, sie würde ihre Figuren bloßstellen, sie betont, dass sie die Figuren eher schützen möchte, sie sogar liebt.
Anmerkung: Diese Kritik ist überhaupt nicht nachvollziehbar, weil die Figuren hier vor allem sich in Andeutungen äußern, man denke etwa an den "Anfang", den die Ich-Erzählerin nur ganz vorsichtig andeutet, oder eben an die Karten von Stein, denen jede Eindeutigkeit fehlt.
- "Alle Ihre Figuren sind in erster Instanz ..."
Der Interviewer verweist auf die Eigenschaft "des Abwartens, Dahintreibens, der Ziellosigkeit und Richtungslosigkeit." Bei Sonja stellt er fest, dass sie sich auf der einen Seite sehr zurück hält, andererseits sei eine geheimnisvolle Erotik im Spiel, "die noch, wenn Sonja sich am Ende der Geschichte wieder im Nichts aufgelöst hat, im Icherzähler als die nachwirkende Sensation einer tiefen Irritation hängenbleibt." Daraus leitet er die Frage ab, 0b man es hier "mit einem neuen, zeitsymptomatischen literarischen Frauentyp zu tun" habe.
- "Ich glaube eher nicht."
Die Autorin glaubt, "dass es solch eine Sonja im Leben eines jeden Menschen gibt oder gegeben hat." Dann geht sie aber auf Menschen ein, die in der Beziehung zu einem anderen zu einem "Versäumnis" werden. Das relativiert sie dann aber doch etwas: "Ich glaube, es ging mir um die Unmöglichkeit, mit Menschen immer auf die so ersehnte heile Art und Weise zusammen zu sein, um die Menschen, die man verpasst, für die man sich nicht entscheidet, von denen man sich abwendet, an die man aber doch noch Jahre später, sein ganzes Leben hindurch denkt und bei denen man das Gefühl hat: vielleicht wäre diese Person jene gewesen, mit der man hätte versuchen sollen, zusammen zu leben." Dann aber verweist sie vor allem auf den Aspekt der Freiheit, der sich bei Sonja zeigt. Das sei etwas, was Frauen sich ein halbes Jahrhundert vorher noch nicht hätten leisten können. Darin sieht Judith Hermann dann doch so etwas wie einen neuen Frauentyp.
- "Auch wenn Sie es ja schon halb und halb"
Die nächste Frage zielt darauf ab, ob die Autorin in Sonja ein Selbstporträt geschaffen habe.
- "Sicher ist sie Selbstporträt"
Sie sieht in ihr eher ein "gewünschtes Selbstporträt", weil sie so locker loslassen kann, was ihr nicht gelinge: "Eine Frau so zu schildern wie sie, ist für mich ein heilender Prozess, weil sie in der Geschichte all das tut, was ich in der Realität nie habe tun können. "
- "Ich möchte den gleichen Faden"
Ausgehend von der Erzählung "Bali-Frau" fragt der Interviewer: "Haben wir es verlernt und verlernen wir es immer mehr, uns sogar in der uns am unmittelbarsten angehenden Frage, jener der Liebe, in Worten zu verständigen? "
- "Ich weiß nicht, ob man es verlernt hat"
Judith Hermann stimmt nicht nur dem zu, sondern stellt die Liebe zwischen Menschen komplett in Frage, wobei man das Gefühl hat, Max Frisch zu hören: "Und ich weiß auch nicht, ob die Liebe zwischen zwei Menschen wirklich möglich ist und ob nicht eigentlich immer der eine ein Bild des anderen liebt und umgekehrt." Am Ende sieht sie aber doch eine Entwicklung in der Frage des Sich-ausdrücken-Könnens in Fragen der Liebe: "Ich habe das Gefühl, dass die Worte immer weniger tragfähig sind, immer zweideutiger werden, rissig sind und nicht ausreichen, etwas zu formulieren."
- "Was ein deprimierendes Fazit für jemanden"
Der Interviewer sieht darin erst mal ein "deprimierendes Fazit" für einen Schriftsteller, verweist dann aber auch darauf, dass die Grenzen der Versprachlichung schon seit langem Thema der Literatur sind. Er stellt sich aber auch die Frage, ob "die literarische Abhandlung dieses Themas in Sprache eben doch wieder einen wichtigen Schritt weiterführen kann."
- "Ja, und deswegen ist es für einen Autor nicht deprimierend"
Judith Hermann zieht sich hier auf die Aufgabe des Versuches zurück, bleibt ansonsten aber sehr skeptisch, sogar was die berühmten drei Wörter einer Liebeserklärung angeht: "dann kommt man sich zum einen lächerlich vor, zum anderen hat man das Gefühl, man beendet einen Zustand, an dem man hängt."
- "Es geht mir immer noch um diese ..."
Ausgehend von der Erzählung "Hunter Tompson Musik" geht es um die ins philosophische gehende Frage, warum jemand freiwillig in einem Armenhotel liegt und ob die damit verbundene Freiheit des "Jederzeit-gehen-Könnens" und nicht der heutige "der Modus unseres Daseins" sei.
- "Um an den Anfang Ihrer Frage zu gehen"
Die Autorin hält die Frage, welches Ziel man habe, das man angehen wolle, für eine "unbeantwortbare Frage". Anschließend entwickelt sie den Gedanken, dass man nur Vorstellungen von Zielen haben könne, die aber nicht richtig sein müssten. Deshalb sei das Gehen selbst das einzig Sichere, was man habe.
Anmerkung: Spätestens hier wird deutlich, wie gesellschafts- um nicht zu sagen realitätsfern diese Überlegungen sind. Denn kein Leben funktioniert auf Dauer, bei dem man nicht zumindest positiv zu den Zielen der jeweiligen Bewegung steht. Auch dies wieder ein Beispiel für das Postmoderne Herumspielen an ziellos präsentierten Möglichkeiten.
- "Im Grunde ganz ähnlich"
Der Interviewer nutzt die Gelegenheit, vom letzten Gedanken überzuleiten zu Stein, dessen Grundhaltung der Möglichkeiten er kurz vorstellt und daraus dann die Frage ableitet, ob die Autorin das eher positiv sieht oder negativ, weil Stein ja mit seinem Lebens- und Liebeskonzept in diesem Falle am Ende scheitert.
- "Ich muss dazu sagen, dass Stein eine meiner Lieblingsfiguren ist."
Für die Autorin ist Stein eine Lieblingsfigur, gerade weil er auf der einen Seite von Möglichkeiten spricht, auf der anderen Seite aber doch erkennbar durchscheint, welche Entscheidung er favorisiert. Dass er dann am Ende das Haus abbrennt, finde die Autorin konsequent, er wird dadurch für sie sogar zum Helden und sie geht davon aus, dass er neue Möglichkeiten finden und nutzen wird.
Anmerkung: Hier hätte man sich sicherlich gewünscht, dass die Autorin das noch genauer geklärt hätte. Denn Steins unentschiedene Aufforderung an die Ich-Erzählerin macht natürlich nur Sinn, wenn er sie testen will nach dem Motto: Einmal - vor allem, wenn es wichtig ist, musst du dich auch entscheiden. Die Alternative dazu wäre ja gewesen, dass er immer so vorgegangen wäre wie bei dem überfallartigen Telefonanruf, was in der anschließenden Beziehung eine Rollenverteilung mit sich gebracht hätte, bei der der eine Partner immer der aktive ist und der andere der passive, der sich allenfalls mitreißen lässt.
Man hat den Eindruck, dass die Autorin an verschiedenen Stellen im Interview genauso unklar schwankend ist, wie sie ihre Figuren gestaltet. Sie denkt die Dinge nicht immer konsequent zu Ende.
- "Ist das eine andere Entscheidung"
Vergleich der Entscheidung von Stein mit der von Sonja in der entsprechenden Erzählung
- "Nein, es ist eigentlich die gleiche Entscheidung."
Verteidigung der durchaus vorhandenen Entscheidungen der Figuren in den Erzählungen, bsd. wird Stein hervorgehoben, dessen "Scheitern gleichermaßen so etwas wie ein Sieg" ist.
Demgegenüber fällt auch für die Autorin die Ich-Erzählerin deutlich ab.
Allerdings müsste hier auch noch mal überlegt werden, ob sie nicht nach der ersten gemeinsamen Zeit mit Stein durchaus in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, nämlich ihn rauszuwerfen. Und auch die Tatsache, dass ihr die Postkarten mit der "Wenn"-Formulierung nicht reicht, ist durchaus eine Entscheidung.
- "Zum Verhältnis Ihrer Personen zur Zeit"
Gefragt wird, ob die Figuren nicht die verbleibende Lebenszeit eher als Belastung sehen, als "Bürde".
- "Ich selber kann sehr schlecht damit umgehen"
Die Autorin erklärt, mehr zurückzublicken und sich in der Gegenwart nur schwer zurechtzufinden.
Im Hinblick auf die Ich-Erzählerin wird als Defizit festgestellt, dass sie glaubt, noch alle Zeit der Welt für Entscheidungen zu haben, was aber nicht so sei.
- "Es will mir scheinen"
Frage, ob sich nicht hinter der scheinbaren Lässigkeit doch "etwas Utopisches" verberge, '"Wünsche nach fester Bindung an Personen, Ehe, der liebevollen Geste, der Verständigung".
Das schließt dann ein, dass die postmoderne Befindlichkeit doch nicht unbedingt ins Glück führe.
- "Die Sehnsucht aller Figuren"
Dem stimmt die Autorin zu: "Es ist die Sehnsucht nach einer ganz einfachen Struktur."
- "Was darzustellen "
- "Was darzustellen, ich mich scheue. Ich wüsste "
- "Als ich die Geschichten zum erstenmal sah"
- "Ich habe eigentlich überhaupt nicht an die deutsche Nachwendezeit gedacht ´"
- "Was bedeutet trotzdem Berlin"
- "Das ist immer schwierig zu sagen."
- "Wären die Geschichten anders ausgefallen"
- "Ich glaube schon, dass diese Entscheidungsunfähigkeit"
- "Weil wir gerade bei Berlin und dem Prenzlauer Berg sind"
- "Nein, man merkt davon so gut wie nichts mehr."
- "Was bedeutet für Sie privat und literarisch der Winter?"
- "Ich selber bin ein Mensch, dem es im Winter"
- "Ihren Texten wurde von der Kritik häufig"
- "Es gibt da mindestens eine Sache"
- "Inwiefern ist Ihnen literarische Tradition´"
- "Vorbilder höchstens unbewusst."
- "Sie haben aber nie versucht"
- "Nein. Das liegt daran"
- "Das Bild vom Autor"
- "Ja. Aber ich muss doch auch sagen"
- "Es schließt sich hier ganz automatisch"
- "Es kommen noch einmal Erzählungen."
- "In Anspielung auf den Titel"
- "Ich bezog mich da darauf"
- "Der ganze Prozess des Hineinkommens"
- "Es geschah überhaupt nicht aus eigener Kraft"
- "Ist der Geschichtenband"
- "Anhänglich wie ich bin"
- "Wir sind, meine ich"