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Judith Hermann und die Liebe

Judith Hermann und die Frage der Liebe - Auswertung und Diskussion eines Zitats aus einem Interview zu "Sommerhaus, später"


Präsentiert wird ein Zitat von Judith Hermann aus dem sehr lesenswerten Interview mit Matthias Prangel, in dem es um die Möglichkeiten der Liebe und besonders des Sprechens darüber geht. Zunächst einmal geht es um die genaue Untersuchung des Inhalts, dann um die Möglichkeiten des Gesprächs darüber.

Übrigens kann man das hier als schönen Abschluss einer Unterrichtsreihe zur Erzählung "Sommerhaus, später" verwenden - denn es macht deutlich, dass Literatur und Leben sogar in der Schule etwas miteinander zu tun haben können.

Näheres dazu weiter unten.

Zunächst ein Schaubild mit kommentierenden Anmerkungen


Anmerkungen zur Bearbeitung des Interview-Auszugs

  • Der Interviewer steigt ein mit einer sich entwickelden Frage, in der es um die Möglichkeit geht, über Liebe zu sprechen. Ganz nebenbei macht er sie zu der "uns am unmittelbarsten angehenden Frage", was leider nicht alle Menschen zu allen Zeiten in gleicher Weise in ihrer Lebenspraxis unterstreichen. Da gibt es durchaus auch andere Werte wie Macht, Geld, Karriere usw. Aber auf der emotionalen Ebene kann man dem sicher zustimmen, wenn man mal vom Gegenteil, dem Hass absieht. Was die Frage selbst angeht, so wird sie in zwei Varianten gestellt: Zum einen geht es um die Frage, ob man das Sprechen über Liebe verlernt hat - das wäre ein Unterschied von Ja oder Nein. Zum anderen geht es um einen laufenden Prozess, was impliziert, dass man es zur Zeit grundsätzlich noch kann - sonst ist man mit dem Verlernen schon am Ende.

  • Die Autorin weicht erst mal aus in die grundsätzliche Frage, ob man "es je geonnt hat" - und dann geht sie noch einen Schritt weiter. Sie wisse nicht, "ob es je wirklich möglich war". Dann kommt ein schönes Bild, nämlich "sie in Worte zu fassen". Man wird dabei an einen Ring erinnert, in dem ja auch "gefasst", also eingeschlossen wird. Etwas wird zu einem Kunstwerk, das man gerne zeigt oder betrachtet. "Fassen" ist nicht weit von "begreifen" entfernt - man sieht hier, dass die Autorin tief in Überlegungen zur Funktion und Bedeutung von Sprache steckt.

  • Judith Hermann geht dann noch einen Schritt weiter und stellt das Phänomen der Liebe komplett in Frage, bezieht sich dabei aber nur auf den von Max Frisch ausführlich behandelten Aspekt, des Sich-ein-Bild-Machens. Man denkt hier an Menschen, die an ihrem Partner wegen des Ansehens, des Geldes hängen, was sich herausstellt, wenn diese Attribute verlorengehen.

  • Etwas problematisch bzw. zumindest salopp funktioniert ist der Satz: "Ich bin nicht sicher, ob die Liebe überhaupt funktioniert." Was heißt hier "funktionieren" - das klingt doch sehr technisch. Aber gemeint ist wohl: "Ich weiß nicht, ob die Liebe den hohen Ansprüchen genügt, die in der berühmten Formel auf dem Standesamt ausgedrückt werden: "in guten und in schlechten Zeiten" und "bis dass der Tod euch scheidet".

  • Dann kommt etwas Überraschendes: Dieselbe Judith Hermann, die weiter oben nicht wusste, ob man je hat über Liebe sprechen können, hat jetzt das Gefühl, "dass die Worte immer weniger und immer weniger ausreichen, um zu benennen, was zwischen zwei Menschen geschehen kann." Damit beantwortet sie eigentlich die Frage des Interviewers - etwas spät.

  • Sehr schön sind dann wieder die Bilder, die sie verwendet: Es geht darum, "dass die Worte immer weniger tragfähig, immer zweideutiger werden, rissig sind'".
    Hier lohnt es sich sicher zu überlegen, was die Worte denn "tragen" sollen, worin die "Zweideutigkeit" besteht und was mit "rissig" gemeint ist.

  • Ganz praktisch wird es dann im letzten Absatz, in dem Judith Hermann apodiktisch behauptet, man könne heute nicht mehr sagen: "Ich liebe dich." Zumindest für ihre Generation schließt sie das aus, woraus sich sofort die Frage ergibt, warum das denn bei früheren Generationen anders war. Möglicherweise hängt das stark mit der Atmosphäre der Geschichte "Sommerhaus, später" zusammen, um die es in dem Interview ja auch geht. Denn dort haben die Menschen anscheinend nicht viel zu tun und können sich intensiv mit ihrem Innenleben beschäftigen, ja geradezu darin versinken. Früher war es selbstverständlich, dass man zusammenkam, um Kinder in die Welt zu setzen - anschließend ging es nur noch darum, diesen Zustand zu erhalten, nicht aber ihn in Frage zu stellen.

  • Judith Hermann spricht den Punkt auch ganz deutlich an: "Es dauert furchtbar lange, bevor es innerlich überhaupt so weit kommt" - diese Zeit hatte man - wie gesagt - früher überhaupt nicht. Das sind möglicherweise Luxusprobleme unserer Zeit, was keine Kritik am Luxus ist, sondern nur ein Hinweis auf seine Kollateraleffekte.

  • Am Ende geht es um die berühmten drei Worte - und da hat Judith Hermann natürlich Recht. Zum Wesen der Liebe gehören Romantikl und Poesie - und beide sind mit dem Unendlichen verknüpft, nicht mit dem Rückgriff auf fertige Muster, die man aus der Schublade zieht. Das ist wohl damit gemeint, dass man sich möglicherweise "lächerlich" macht, wenn man sich nicht zumindest ein bisschen Mühe gibt.

  • Rätselhaft ist dann aber die Sorge, "man beendet einen Zustand, an dem man hängt." Vielleicht meint sie damit, man beendet den Schwebezustand und entscheidet sich - und das bedeutet eben nicht nur Freiheit, wie die Autorin im Interview meint, sondern in diesem Falle eben Bindung - und nach einiger Zeit für manche vielleicht sogar eine Art Gefängnis.

Vorschläge für ein Arbeitsblatt mit anschließender Diskussion

Entweder präsentiert man den Textausschnitt aus dem Interview den Schülern - oder auch nur seine Kernaussagen.
Zu finden ist das Interview im Internet auf der Seite:
https://literaturkritik.de/id/5689

Anschließen könnte man die folgenden Aufgaben stellen:

Frage an die heutige Generation:
Besprich die folgenden Fragen mit deinem Nachbarn und überlegt euch gemeinsam eine kurze Antwort:
1. Kann man von der Liebe wirklich als von der „uns am unmittelbarsten angehenden Frage“ sprechen??
2. Ist die Liebe zwischen zwei Menschen überhaupt möglich? (Dabei müsste man kurz überlegen, was dazu gehört!)
3. Wie groß ist die Gefahr, dass man nur „ein Bild des anderen liebt?
4. Kann man das, was man an Liebe für einen anderen empfindet, überhaupt mit Worten ausdrücken?
5. Kann man heute noch einfach sagen „Ich liebe dich?“ oder muss man nach Alternativen suchen, welche gibt es?
6. Von welchen originellen Heiratsanträgen hast du schonmal gehört?

Dazu ein paar Anmerkungen :
  1. Kann man von der Liebe wirklich als von der „uns am unmittelbarsten angehenden Frage“ sprechen?
    • Gibt es da nicht auch noch Karriere, Geld, Macht?
  2. Ist die Liebe zwischen zwei Menschen überhaupt möglich? (Dabei müsste man kurz überlegen, was dazu gehört!)
    • Das hängt sicher von den Anforderungen ab, die man an die Liebe stellt.
  3. Wie groß ist die Gefahr, dass man nur „ein Bild des anderen liebt?
    • Umso größer, je mehr der andere ein Bild darstellt - etwa auf Grund seines Erfolgs.
  4. Kann man das, was man an Liebe für einen anderen empfindet, überhaupt mit Worten ausdrücken?
    • Natürlich, wie viele Liebesbriefe zeigen - oder in noch höherem Maße: Liebesgedichte, weil Dichter sich immer besonders um Originalität bemühen.
  5. Kann man heute noch einfach sagen „Ich liebe dich?“ oder muss man nach Alternativen suchen, welche gibt es?
    • Natürlich kann man das - es kommt auf die Ehrlichkeit an, mit der man es sagt. Außerdem ist jedes Ausweichen in irgendwelche andere Formulierungen möglicherweise auch verdächtig.
  6. Von welchen originellen Heiratsanträgen hast du schonmal gehört?
    • Einfach mal "originelle Liebeserklärungen" googeln - auch wenn dann nicht alles so ganz überzeugt.


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