Beispiel für die Analyse von Reden: Abiturrede zum Thema "Türen und Türhüter"
Weiter unten findet sich unser Einstieg in das Thema mit einer fortlaufenden Analyse der Rede.
Hier schalten wir die einzelnen Abschnitte optisch einprägsamer vor - jeweils mit Erklärung der "Autoraktivitäten". Das heißt: Wir fragen uns bei jedem Element bzw. jedem Abschnitt: Was macht der Autor bzw. in diesem Falle der Redner da eigentlich?
Wichtig bei unserem Verfahren ist, dass man sich erst mal einfach auf den Gedankengang des Autors einlässt - erst später wird man dann die großen Zusammenhänge des Textes beschreiben können - dafür muss man ihn nämlich verstanden haben.
Zu Beginn seiner Rede (1-8) knüpft der Redner an ein Sprichwort an, das man nicht gleich versteht. Direkt danach wird es dann aufgelöst: Es geht darum, dass er anscheinend schließlich am Schluss mit seiner Rede erst drankam und sich deshalb kurz fassen will.
In den Zeilen 9-12 erwähnt er kurz seine Funktion als Jahrgangsstufenleiter und greift dann auf eine zweite Redewendung zurück, die er dann nutzt, um zunächst eine gute Nachricht anzukündigen.
Der nächste Abschnitt (13ff) klärt dann zunächst, was die Schüler als gut empfinden, nämlich das Ende ihrer Schulzeit. Dabei werden zwei Bilder verwendet, zunächst das des "Gefängnissen", das dann aber als zu hart beiseitegeschoben wird. Besser erscheint dem Redner ein Vergleich der Schule mit einem Käfig - aus Schülersicht: Man fühlt sich ebenfalls eingesperrt, bekommt aber regelmäßig "Futter" (20). Damit will der Redner wohl deutlich machen, dass man in der Schule versorgt wird. Allerdings ist dabei wohl kaum das Essen gemeint, denn das nehmen sich manche Schüler ja auch mit oder besorgen es sich in einem Laden. Hier ist man als Leser gespannt, was wirklich gemeint ist (Leserlenkung). Außerdem wird auf "Gesellschaft" (20) verwiesen. Hier ahnt man als Leser, dass damit die Mitschüler gemeint sind, aber auch das muss noch näher erklärt werden.
Strategie und Struktur der Rede
Fortlaufende Analyse der Rede
Stefan Marjorski, Vom Umgang mit Türen und Türhütern Abiturrede im Rahmen der Abschiedsfeier des Klarfurter Gymnasiums am 07.07.2018
Liebe Schülerinnen und Schüler und all die anderen, die sich mit uns freuen: Ihr kennt sicherlich die alte Lebensregel: wer zuletzt kommt, den beißen die Hunde.
Typisch für eine Rede - man beginnt mit irgendetwas, was Aufmerksamkeit hervorruft.
Heute hat es mich getroffen, ihr habt so viele gehaltvolle Reden gehört und der Sektempfang ist schon so nah, dass ich mich jetzt einfach mal kurz fassen will.
Hier wird ein bisschen um Mitleid geworben, ein Lob ausgesprochen und ein Versprechen abgegeben. So etwas nennt man "fishing for compliments" - man versucht, bei den Zuhörern einen guten Eindruck zu erwecken.
Dies nur schon mal als Anfang. Ihr könnt ja schon selbst weitermachen und überlegen, was der Redner jeweils mit einem Absatz erreichen will und vielleicht auch erreicht. Wir setzen das bald fort.
Als euer Jahrgangsstufenleiter habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für euch.
Hier "outet" sich der Redner - natürlich kennt man ihn, vielleicht bis auf einige Eltern, die auch im Publikum sitzen. Aber entscheidend ist die Herstellung von Beziehung: "euer".
Dazu der alte Trick der Spannungserzeugung: Ankündigung einer guten und einer schlechten Nachricht. Auch solche Einfach-Tricks kann man nutzen, die Spannung auf das, was kommt, bleibt auf jeden Fall, auch wenn die Verwendung dieses Kniffs bei dem einen oder anderen ein leichtes Gähnen auslöst.
Fangen wir mit der guten an, die euch sicher als erstes einfällt:
Hier kann man unterschiedlich vorgehen - eigentlich ist es nicht gut, mit der schlechten Nachricht zu enden. Wie wir später sehen werden, hat der Redner aber auch dafür eine gute Lösung, was schon ziemlich raffiniert ist.
Es ist vorbei – ihr habt die Schule hinter euch, die euch zum Teil wie ein Gefängnis vorkam mit wenig Hofgang.
Schon der erste Satz ist wieder sehr gelungen, weil er das Wesentliche auf den Punkt bringt - und dazu auch Nachdenken auslöst. Was ist denn nun vorbei - nun, darauf werden die meisten schnell kommen.
Dann die Befriedigung, man hat richtig geraten -
und dann gleich ein neuer rhetorischer Hammer, nämlich die Schule mit einem Gefängnis zu vergleichen. Während einige noch grübeln, ob das wohl noch in Ordnung ist,
kommt schon der kleine Joke, nämlich die Schulpausen mit dem "Hofgang" der Häftlinge in Gefängnissen zu vergleichen. Gemeinsam ist auf jeden Fall sowohl den Schülern als auch den Häftlingen, dass sie auch in den Pausen nicht ganz frei sind - und eine Aufsicht gibt es auch. Bevor jetzt irgendwelche Lehrer aufstöhnen - hier geht es nicht um die Beleidigung ihres Berufsstandes, sondern um die Kunst der Rede - und die enthält immer auch ein bisschen Grenzgängerei - und manchmal merkt man als Redner erst hinterher, dass man vielleicht zu weit gegangen ist. Auf jeden Fall ist es hier ja nicht ernst gemeint, es ging ja darum, dass es den Schülern so "vorkam"
Aber Vorsicht: „Gefängnis“ ist ein zu hartes Wort. Versuchen wir es mal mit „Käfig“ – auch nicht schön, aber wenn es für den Wellensittich gut läuft, gibt es regelmäßig Futter und auch ein bisschen Gesellschaft.
Der Redner rüstet jetzt ein wenig ab und reduziert die Vorstellung vom "Gefängnis" zu "Käfig" - mit einem interessanten Hintergedanken, der ihm später eine gute Überleitung ermöglicht.
Worauf ich hinaus will: Schule bedeutete Einengungen, aber der Weg zu dem Ziel, das ihr heute erreicht habt, wurde euch auch gebahnt.
Wer nicht von selbst drauf gekommen ist - und das kann jeder mal bei sich selbst testen, der bekommt hier genau die Lösung, die die Brücke zu einem neuen Gedanken präsentiert, nämlich dem Hinweis darauf, dass Schule eben der letzte Ort im Entwicklungsgang von Jugendlichen ist, wo es noch so etwas wie Betreuung gibt - später muss man Glück haben, wenn man da auch noch Hilfe bekommen will, besonders in Krisensituationen.
Und wenn ihr etwas Glück hattet, dann gab es nicht nur einen festen Lehrplan, sondern auch Lehrer, die euch geholfen haben, damit klarzukommen.
Hier wird der Gedanken noch etwas genauer ausgeführt - und viele Schüler und vielleicht auch manche Eltern werden an bestimmte Situationen und Menschen denken.
Und ihr wart in einer Schulgemeinschaft, in der man nicht gegeneinander arbeiten musste, um den einzigen Platz an der Spitze eines Unternehmens zu erreichen, sondern ihr konntet gemeinsam Ziele verfolgen – und auch gemeinsam auf dem Siegertreppchen stehen.
Hier wird die Richtung auf die Zukunft weiter ausgebaut, indem auf einen weiteren Vorteil der Schulzeit gegenüber der Berufswelt hingewiesen wird.
--- Eingehen auf die Zukunft mit neuen Herausforderungen - im Kontrast zum relativen Schonraum der Schulzeit
Das wird in Zukunft schwieriger – und das ist die schlechte Nachricht: Ihr werdet viel mehr Verantwortung für euch selbst übernehmen müssen.
Überleitung zur Zukunft und wieder Aufnahme des Grundkonzepts von der guten und die schlechten Nachricht,
Hervorhebung eines zentralen Unterschieds, nämlich der Verantwortung für sich selbst (im Unterschied zu dem positiven Aspekt der Käfighaltung)
Wer seine Unterlagen nicht termingerecht einreicht, ist einfach nicht dabei.
Beispiel für die Härte des Lebens - im Vergleich zur Schule, wo man oft auch nach dem Verstreichen eines Termins noch Chancen hat.
Und mit unentschuldigten Fehlstunden, die nur vermerkt werden, aber weiter keine Folgen haben, ist es auch vorbei.
Zweites Beispiel - noch konkreter
Vor allem werden die Wege zur Spitze enger: In der Schule gibt es beliebig viele Spitzennoten, wenn man sie verdient hat. In Firmen und Institutionen dagegen gibt es Positionen, die nur einmal besetzt werden. Und wenn man dort sitzt, kämpft man gegen die, die an dem Stuhl sägen wollen.
Hinweis auf ein besonderes Problem der realen Berufswelt - die Verengung der Karrierechancen im Vergleich zur Schule
Warum erzähle ich euch das? Weil ich jetzt mit einem guten Rat enden möchte, der eure Spielräume vergrößern kann, euch immer wieder Mut macht, es doch zu versuchen, nicht aufzugeben.
Rhetorische Frage, um die Zuhörer einzubinden
Überleitung zum Schlussteil, in dem es um einen guten Rat für die Zukunft geht.
Als Deutschlehrer greife ich da gerne auf eine berühmte Erzählung von Franz Kafka zurück. Sie zeigt nämlich, worauf es ankommt.
Überleitung zu einem Stück Literatur, dem eine besondere Bedeutung zugeschrieben wird.
Da steht ein Mann „vor dem Gesetz“, so der Titel der Erzählung. Und das ist offensichtlich sein Traum, die Erfüllung seines Lebens.
Einstieg in die Handlung der Geschichte - Hinweis auf einen vergleichbaren Punkt: So wie die Schüler ist auch dieser Mann mit seinen Hoffnungen konfrontiert.
Nur ist da ein Türhüter und der hat allerlei Bedenken, was das Durchschreiten der Tür angeht.
Hinweis auf den Gegenspieler, die Instanz, die die Hoffnungen bedroht
Und so richtet sich der Mann häuslich vor der Tür ein und kommt erst am Ende seines Lebens auf die Idee zu fragen, warum nie ein anderer um Einlass gebeten hat.
Vorstellung der Reaktion des Mannes mit Blick auf lange Zeiträume und ein großes Versäumnis
Die erschütternde Antwort: „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“
Klärung des Schlusses der Geschichte und Andeutung seiner Bedeutung: Es wird deutlich, dass hier etwas sehr schlecht gelaufen ist.
Mein Rat also an euch: Glaubt nicht den Türstehern, zumindest nicht alles, sondern öffnet die Türen, geht durch, mit offenen Augen und macht euch eure eigenen Gedanken dazu.
Schlussfolgerung aus der Geschichte, allerdings mit einer leichten Einschränkung, Appell zu durchdachtem Handeln
Aber Vorsicht: So einfach ist die Botschaft natürlich nicht. Die Erzählung lässt das ja auch offen, ob eine Chance bestanden hat.
Verstärkung der Einschränkung,
als Überleitung zum zweiten Tipp
Deshalb nun noch der zweite Tipp: immer wenn ihr auf Türen mit Türhütern stoßt, tauscht euch mit anderen aus, erprobt eure Ideen, bevor es hart auf hart geht. Selbst denken ist schön, aber der Weg zur Erkenntnis bzw. zu guten Lösungen ist natürlich auch mit Irrtümern gepflastert. Und wer jemals sich am Ende einer Sackgasse wiedergefunden hat, freut sich nicht auf den mühsamen Rückweg.
Hervorhebung der Bedeutung des Austausches mit anderen,
Angabe des Grundes, dass man sich alleine eher irren kann
Worüber wir uns aber freuen können, ist das von euch geplante Wiedersehenstreffen in fünf Jahren und ich bin gespannt, durch welche Türen ihr gehen konntet und was ihr dahinter entdeckt habt.
Nutzung des zweiten Ratschlags als Überleitung zur aktuellen Situation und zum Plan eines Wiedersehenstreffens in fünf Jahren
So, länger will ich uns alle nicht vom Sektempfang abhalten, Bei all dem Prüfungsstress hatten wir ja in den letzten Wochen kaum Zeit, uns über das Leben nach dem Abitur auszutauschen. Damit könnten wir jetzt beginnen.
Aufnahme der Entschuldigung vom Anfang, dass die Rede die Leute nicht vom Sektempfang und den damit verbundenen Möglichkeiten des Gesprächs abhalten soll
Ich wünsche euch allen alles Gute und auch das notwendige Glück bei den richtigen Entscheidungen und den Momenten, wenn das Schicksal einem besondere Chancen präsentiert, die man sich anschaut, mit anderen bespricht und dann mutig nutzt.
Formulierung guter Wünsche für die Zukunft,
Betonung der notwendigen Verbindung von Glück und dem richtigen Umgang damit,
wobei dann alles noch einmal zusammen gefasst wird, was an Tipps für das spätere Leben angesprochen worden ist.
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