Im Folgenden stellen wir Infos und Ideen für die Behandlung der Erzählung "Sommerhaus, später" im Unterricht zusammen.
Dazu gehört für uns, dass wir die Unterrichtsreihen von Verlagen vorstellen und aus unserer Sicht kommentieren, aber natürlich entwickeln wir auch unabhängig davon Ideen und Materialien.
Aus aktuellem Anlass noch der Hinweis auf ein Gedicht von Rilke, das man schön mit "Sommerhaus später" vergleichen kann: https://www.schnell-durchblicken2.de/rilke-die-braut
Texte, Themen und Strukturen · Deutschbuch für die Oberstufe - Nordrhein-Westfalen Zentralabitur Deutsch 2019 - Arbeitsheft - Grundkurs
ISBN: 978-3-06-200273-1
Erster Eindruck:
S. 44: Ungewöhnlicher und nicht unproblematischer Einstieg über ein Lied, das die Unentschlossenheit thematisiert. Als Material sicher sehr wertvoll, vor allem, was den Gegenwartsbezug angeht. Allerdings verstellt es die Möglichkeiten eines eigenen Zugangs, weil letztlich damit bereits ein Interpretationsakzent gesetzt wird. Besser wäre es, später, also nicht "Vor der Lektüre" zu prüfen, inwieweit dieses Lied dem Inhalt und der Aussage der Erzählung entspricht.
Auch die interessante Diskussion der These von Judith Hermann, "eine einmla getroffene Entscheidung sei mit großer Freiheit verbunden" lässt sich viel besser nach der Lektüre der Erzählung diskutieren - und dann gerne auf eigene Lebenserfahrungen übertragen.
S. 45: Es folgt eine Tabelle mit Zitaten zu den Aspekten "Handlung, Zeit, Ort und Fiktionalität", die zunächst mal den Eindruck einer Textkenntnisüberprüfung machen. Auch hier wundert man sich, dass man nicht erst mal die Lese-Erfahrungen der Schüler zu Wort kommen lässt. Auch wenn man das jedesmal macht, es ist der einzige Weg, bei dem nicht gleich mit Vorweg-Festlegungen gearbeitet wird. Selbst solch eine Zitatsammlung, sollte eher von Schülern zusammengestellt und diskutiert werden. Ein Beispiel für Fragen zu den Lektüreerfahrungen finden sich hier: https://www.schnell-durchblicken2.de/sommerhaus-erster-eindruck
Die Überlegungen zum Verhältnis von Fiktion und Realität sind anregend, aber von einem "Fiktionsvertrag" zu sprechen, erscheint uns wenig zu tun zu haben mit dem schönen Spiel der Literatur. Hier hätte man ganz anders an die Problematik herangehen können - etwa mit der Frage: Was kann einem passieren, wenn man die angegebenen Orte aufsucht und dort nach diesem Brand in Canitz fragt. Dann ist man schnell bei den Möglichkeiten, aber auch den Gefahren einer solchen realitätsnahen Fiktionalität. Man stelle sich einmal vor, in einer solchen Erzählung würde ein Ort mit vorzeitig entlassenen Sittlichkeitsverbrechern bevölkert. Solche Provokationen schaffen wohl mehr Problembewusstsein als pseudojuristische Definitionen.
S. 46: In ähnlicher Weise geht es weiter: Bevor man sich dem Cliquen-Aspekt der Erzählung nähert, wird die Einstellung der Schüler dazu abgefragt. Offensichtlich gehen die Verfasser von einer Art von Lektüre aus, bei der man immer vorher erst mal Informationen oder gar Aufgaben bekommt. Warum kann man die Schüler nicht selbst drauf kommen lassen, dass die Clique hier eine besondere Rolle spielt. Gut ist sicher die Bereitstellung entsprechender Textstellen - aber bitte dann nicht Wortwahl und Satzbau analysieren lassen, sondern sich dem zuwenden, was im Text steht. Was hier auch ärgerlich ist: Es wird kein Zusammenhang hergestellt zwischen Inhalt und Form (Erzähltechnik). Die Frage ist wirklich, ob solch eine germanistisch-interesselose Annäherung an Literatur die Begeisterung der Schüler dafür steigern kann. Mit "Interesse" ist hier natürlich die Weckung des Interesses der Schüler gemeint.
S,. 47: Die Haupteigenschaft der Figuren
Natürlich geht es dann so weiter - man lässt die Schüler nicht selbst darauf kommen, dass in der Erzählung "Figuren des Abwartens, Dahintreibens, der Ziellosigkeit und Richtungslosigkeit" präsentiert werden, sondern man spielt ein Zitat ein aus einem Interview mit Judith Hermann. Das geschieht viel zu früh - Literatur gehört nicht mehr dem Autor, sobald er lesefertig vor einem liegt. Man kann den Verfasser heranziehen, aber das ist eine germanistische Herangehensweise, die in der Schule nicht am Anfang stehen sollte.
Eine gute Idee ist dann natürlich, die Schüler zu fragen, inwieweit sie solche Verhaltensweisen kennen und ihre Folgen abschätzen können. Was man sich gewünscht hätte, wäre hier aber die Konfrontation dieser Einstellung zum Leben mit einer anderen, etwa der klassischen. Dann könnten die Schüler sich entscheiden. Interessant könnte in diesem Zusammenhang die Frage von Drogen wie Alkohol bis hin zu Haschisch sein - denn auch in deren Umfeld taucht die Frage auf, inwieweit sie hilfreich sind, das Leben zu ertragen (Man denke an den Spruch: "Wer Kummer hat, hat auch Likör!" - und inwieweit sie die Probleme vergrößern.
S. 48: "Die Figur Stein"
Eine sehr gute Idee ist es sicherlich, eine Figur mit einem passenden Schauspieler für eine Verfilmung zu besetzen. Das kann interessante Diskussionen auslösen und Einsichten hervorbringen, die weit über die Rollenspielfrage hinausgehen.
Das Verhältnis von Stein zur Clique wird aber wieder "von oben nach unten", also im ersten Schritt systematisch geklärt, statt vom Text und seinen Signalen auszugehen.
In eine gute Richtung geht sicherlich die Erörterung der Frage, was Stein zum Außenseiter macht.
S. 49: "Die Beziehung der beiden Hauptfiguren"
Eine gute Möglichkeit stellt die genauere Analyse eines Textabschnitts dar. Der angebotene Wortspeicher erscheint dann aber als zu verführerisch und verhindert eher eine offene, eigenständige Auseinandersetzung mit der Thematik.
Etwas schwierig dürfte es werden, wenn die Erzählweise der Erzählerin untersucht werden soll. Allerdings wird auf Informationen an anderer Stelle verwiesen, was diese Aufgabe erleichtert.
Interessant sicher die Klärung des Selbstverständnisses und des Frauenbildes. Das hinzugefügte Zitat der Autorin erscheint aber wiederum unpassend und hätte besser aufgehoben werden sollen für die Frage nach der Intentionalität und der Bedeutung der gesamten Erzählung. Auch hier wieder eine problematische Vermischung von Autorenrolle und Textsouveränität.
Eine gute Idee ist sicher die Aufgabe der Beurteilung der Frage, ob die Erzählerin es mit Stein hätte versuchen sollen. Hier wäre eine kreative Aufgabe aber wohl besser gewesen, indem man eine Freundin hätte diese Idee vertreten lassen. Vielleicht wäre auch Henriette in einem lichten Moment ihrer Cliquen-Existenz dazu in der Lage gewesen. Ihre kritische Frage: "Seid ihr bescheuert, oder was" (302) im Umfeld von Toddis Eis-Einbruch dürfte sie zumindest ansatzweise dazu qualifizieren. Allerdings spricht dagegen, dass sie ja eigene Interessen verfolgt, wie sich zeigt, als sie aus Sicht der Erzählerin "blöde auffällig" (305) nach dem Aufenthaltsort Steins fragt.
S. 50: "Das Symbol des Hauses"
Sehr positiv ist auf jeden Fall, dass dieser zentrale thematische Aspekt einbezogen wird, der ja auch wichtig ist für die Frage, inwieweit es sich bei der Erzählung um eine Novelle handelt.
Sinnvollerweise beginnt die Arbeitsheftseite mit der Klärung des Begriffs "Symbol".
Die Aufgabenstellung könnte dann aber deutlicher in Richtung "Bedeutung des Hauses für ..." akzentuiert werden. Hier wird zu schnell die Frage der Beziehung wiederholt, statt erst mal die jeweilige Beziehung zum Haus zu klären.
Positiv ist sicher der Einbau einer Dialog-Analyse, allerdings hätte man das besser von der thematischen Einengung auf das Haus getrennt.
Ausnahmsweise positiv sehen wir dann die Einbeziehung eines weiteren Zitats der Zitat, weil es nur als Aufhänger genutzt und die Ausführung den Schülern überlassen wird.
S. 51: "Den Schluss der Erzählung deuten"
Ebenfalls positiv ist sicher ein genaueres Eingehen auf den Schluss, allerdings wird er zu isoliert gesehen, zu wenig im Kontext des Handlungsverlaufs bzw. Beziehungsverlaufs.
Die Vorstellung der Methode "Produktiv-gestaltendes Interpretieren" sollte deutlich schülernäher gestaltet werden. Insgesamt findet sich hier zu viel das Gesprächsniveau eines Germanistikseminars oder einer Stundennachbesprechung zwischen Referendar und Fachleiter (wir bitten hier und in vergleichbaren Fällen die weibliche sprachliche Form mitzudenken.)
Die anschließende Aufgabe einen Dialog zu schreiben, wenn die Erzählerin und Stein sich im Gutshaus wiedersehen, ist grundsätzlich gut, allerdings müsste die Situation im Text genauer angegeben werden. Außerdem sollte eine Möglichkeit genannt werden, in welche Richtung und auf welcher Basis die beiden Kommunikationsverweigerer nun plötzlich einen Dialog führen sollten. Da hätte man sich ein bisschen mehr an "Motivierung" gewünscht.
S. 52/53: "Judith Hermann und die zeitgenössische Kurzprosa"
Eine gute Idee ist es sicher, die Autorin selbst aufzeigen zu lassen, wo sie für ihr Schreiben eine Möglichkeit sieht, vielleicht sogar ein notwendiges Alleinstellungsmerkmal.
Die anschließende Listenaufzählung "Merkmale gegenwärtiger Kurzprosa" ist sicher ein guter Ansatz . Hier hätte man sich gerne noch entsprechende Textpassagen aus anderen Geschichten oder sogar von Raymond Carver gewünscht, der ja als Vorbild genannt wird.
Der Auszug aus der Rezension von Ingo Schulze bietet sicher Ansätze für das Verständnis des Umfelds, in dem die Geschichte spielt. Der Hinweis auf New York ist schwierig zu überprüfen. Ein großer Teil des Auszugs beschäftigt sich mehr mit dem inhaltlichen Kern als mit der Überschrift des Arbeitsteils.
Was die abschließende Aufgabe angeht, selbst eine Rezension zu schreiben, bräuchten die Schüler wohl doch mehr Hilfestellung., etwa:
Machen Sie sich zunächst klar, was Ihnen an der Erzählung gefällt und was nicht.
Überlegen Sie sich dann einen Punkt, den Sie gewissermaßen ins Zentrum der Rezension stellen können.
Es geht um eine Reihe, die in dem folgenden Schülerarbeitsbuch präsentiert wird:
Grundkurs. Faust I / Die Marquise von O... / Sommerhaus, später / Expressionismus / Mehrsprachigkeit. Schülerarbeitsbuch. Abitur 2019. Deutsch. Nordrhein-Westfalen Bildungshaus Schulbuchverlage, Braunschweig 2017, S. 152-179
ISBN 978-3-507-69955
Etwas Wichtiges vorweg: Auf den Seiten 152 bis 158 wird der Text der Erzählung mit Worterklärungen am Rand präsentiert.
S. 159: Einstieg: "Die Handlung der Erzählung analysieren Positiv finden wir hier auf jeden Fall schon einmal, dass mit dem Text selbst begonnen wird und nicht mit irgendwelchen Außenansichten. Schade finden wir allerdings, dass gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung mit der Kleist-Novelle "Die Marquise von O..." nicht die Chance genutzt wird, die erzählten Einstiege zu vergleichen. So besteht die Gefahr, dass mehr über den literarischen Text gesprochen wird als in einem hermeneutischen Sinne mit ihm.
Konkret wird die Handlung in dem Arbeitsblatt in vier Phasen zerlegt und jeweils unterschieden zwischen dem, was die Ich-Erzählerin sagt, und was sich als die "wichtigsten Ereignisse" präsentiert.
Außerdem wird Wert gelegt auf die jeweils erzählte Zeit.
Außerdem werden Impulse gesetzt in Richtung Beziehung zwischen der Erzählerin und Stein und die Widersprüchlichkeit der Gefühle.
S. 160: "Die Figuren der Erzählung charakterisieren"
Als Methode wird hier Kleingruppenarbeit gewählt, wobei man sich jeweils beschäftigen soll mit dem Alter, dem Bildungsstand, der sozialen Stellung der Figuren.
Dann geht es um die in der Erzählung auftauchende Musik.
Kurz angesprochen wird die große Bedeutung von Drogenkonsum und Sexualität. Wichtig ist den Verfassern, dass beim beiden Themen keine wertenden Äußerungen in die Arbeitsergebnisse einfließen. Das soll sogar in Partnerarbeit überprüft werden. Man fragt sich hier, ob das der wichtigste Aspekt bei diesen Themen ist oder etwas mehr Stellungnahme zu diesen gesellschaftlichen Konfliktthemen nicht die Diskussion auch positiv intensivieren könnte. Man käme dann möglichst schnell bzw. leichter auf ganz unterschiedliche Lebenskonzepte.
S. 161: "Die topographischen und zeitlichen Gegebenheiten der Erzählung analysieren"
Ausgangspunkt des Arbeitsblattes sind zwei Fotos, einmal von der Frankfurter Allee und einmal vom Griebnitzsee. Hier sollen wohl Großstadt und ländliche Idylle gegeneinandergestellt werden.
Empfohlen wird wird eine Reise mit Google Street View die Frankfurter Allee entlang bis zum Alexanderplatz. Dabei soll die Einschätzung der Stalin-Bauten durch die Erzählerin überprüft werden. Hier fragt man sich, ob eine solche subjektive Ergänzung des Textes wirklich was bringt.
Dann geht es um die kleineren Orte auf dem Land - auch hier fragt man sich, ob diese "Realitätskontrolle" an dieser Stelle nicht die Beschäftigung mit dem Gehalt der Erzählung eher stört. Auch hier sagen wir ganz klar: Die Fiktionalität literarischer Texte sollte stärker ernst genommen werden.
Im letzten Abschnitt der Seite geht es um die zeitliche Einordnung und die Frage der Bedeutung der Wende für die Figuren. Ziel ist dann die Klärung der Frage, ob die Erzählung eher zeittypisch für die Jahre zwischen 1990 und 2000 ist oder zeitlos. Eine ähnliche Frage wird im Hinblick auf den Ort Berlin gestellt. Auch hier wird uns viel zu früh mit außerliterarischen Momenten gearbeitet.
Wir empfehlen, diese ganze Seite erst mal außen vor zu lassen und entweder zu behandeln, wenn Schüler daran Interesse äußern, oder aber im Schlussteil der Reihe, wenn es um die grundsätzliche Frage der fortdauernden Bedeutung von Literatur geht, auch wenn man Bezugszeit und Bezugsorte nicht oder nicht mehr kennt. Der oben aufgeführte Ort dieser Thematik in der TTS-Reihe ("Hinweis auf New York) erscheint uns sinnvoller.
S. 162: Rauschmittelkonsum bewerten und Erzählhaltung an einer wichtigen Stelle untersuchen
Die Rauschmittelfrage soll in verschiedenen Dimensionen bewertet werden.
Was die Erzählhaltung angeht, so geht es um das richtige Verständnis der Zeilen 88-90. Da geht es um den Blick, den Stein nicht hinbekommt. Insgesamt ein schöner und wichtiger Untersuchungsaspekt - und auch von der Aufgabenstellung her gut angelegt.
S. 163: Thema Sexualität und abschließende Interpretation mit Hilfe von Erörterungsfragen
Wie beim Rauschmittelkonsum soll hier auch auf der Ebene verschiedener Dimensionen bewertet werden.
Hier werden vier Varianten angeboten, um das Ende der Erzählung zu verstehen. Allerdings fehlt das Naheliegende, das sich ergibt, wenn man einfach dem Text der Erzählung folgt und vor allem dem zweiten Wort im Titel. Hier bietet die TTS-Variante (s.o.) mit dem Hinweis auf den Bereich der Entscheidungs- und Zielschwäche deutlich mehr.
S. 164-165: "Sommerhaus, später" wird verglichen mit dem Inneren Monolog in Schnitzlers "Fräulein Else": Hier geht es zum einen inhaltlich um die Einstellung zur Sexualität, ansonsten um die Transparenz der Gedanken der Hauptfiguren, die ja sehr unterschiedlich ist.
S. 166-167: Analyse von Christoph Hein, "Der fremde Freund. Drachenblut" im Hinblick auf die Frage von Verdrängung: Hier wird sicher ein zentrales Problem und zugleich Erklärungsmuster aus "Sommerhaus, später" angesprochen.
S. 168-169: Vergleich eines Abschnitts aus '"Sommerhaus, später" mit Anna Katharina Hahn, "Kürzere Tage" im Hinblick auf die "erzählerische Gestaltung emotional herausfordernder Situationen" - auch das sicher eine Verständnishilfe
S. 170-171: Näheres Eingehen auf Berlin als "Ort des Geschehens" - mit Hilfe einer Reportage von Egon Erwin Kisch - auch das eine gute Idee, um den atmosphärischen Hintergrund der Erzählung besser zu verstehen.
S. 172-173: Noch ein zweiter Text, diesmal ein Auszug aus dem Roman "Berlin Alexanderplatz".
S. 174-175: Sachtext von Karl Migner zum Thema "Tendenzen der Romangestaltung im 20. Jahrhundert": Mit solchen Texten versteht man besser, in welchem Kontext von Schreibmöglichkeiten sich Schriftsteller bewegen - für die Schüler normalerweise eine verschlossene Welt.
Behauptet wird, dass im 20. Jahrhundert sich mehr Freiheit für den Erzähler ergeben hat, was sicher stimmt.
Behauptet wird außerdem die Absicht, "zu einer möglichst unmittelbaren Darstellung der ganzen komplexen Wahrheit über Mensch und Welt zu kommen", das impliziere den "Verzicht auf äußere Realitätstreue" Hierbei wird natürlich übersehen, dass, wer im Dschungel steckt, keinen Überblick über ihn gewinnen kann. Dass viele moderne Schriftsteller lieber im Dschungel des Unmittelbaren schreiben, mag sein, muss aber nicht unbedingt idealisiert werden. Gerade die Clique in "Sommerhaus, später" bewegt sich auf erschreckende Weise im "Unmittelbaren", hat nicht den Ansatz eines darüber hinausgehenden Interesses. Wenn man sich schon über alle Bildungsideale der Klassik hinwegsetzt, sollte man wenigstens formulieren, was modernem Menschsein Sinn und Gestalt gibt.
Anschließend wird behauptet, dass der einzelne Mensch weder als "individueller Charakter noch als Typus" interessant sei. Beim zweiten Aspekt wird man wieder zustimmen, Individualität aber aus dem Kernbereich der Literatur auszuschließen, dürfte barer Unsinn sein. Stattdessen sei man mehr an "menschlicher Substanz" interessiert. Wenn die nicht mit Individualität zusammenhängt, womit denn sonst? Anschließend wird behauptet, dass der Mensch weniger von "Familie und Tradition" abhänge als von seiner "Beziehung zur Gesellschaft oder Außenwelt." Dem wird man in unserer Gesellschaft sicher weitgehend zustimmen - der Autor kennt 1970 natürlich noch nicht die Veränderungen durch die Immagration von Menschen, bei denen es eher umgekehrt ist.
So geht es im gesamten Text weiter, was ihn überaus wertvoll macht. Denn was ist besser für eine nähere Untersuchung als eine Vorlage mit Fragwürdigkeiten.
Einen Aspekt möchten wir doch noch hinzufügen: Der Autor hat was gegen Heldenfiguren, das mag dem Umfeld der 68er Einflüsse geschuldet sein. Dabei haben doch noch zu Lebzeiten von Migner Staatsführer wie Reagan und Gorbatschow die Welt verändert - und in vielem nun wirklich zum Guten, ganz gleich, was die Absichten im Einzelnen gewesen sein mögen. Beide haben zum Fall der Mauer und dem Ende des Eisernen Vorhangs beigetragen. Man mag das anders sehen - dann aber bitte mit etwas mehr Relativierung der scheinbaren schriftstellerischen Normalität des 20. Jhdts.
Noch mal: Insgesamt ein sehr brauchbarer Text, wenn man ihn versucht etwa auf die "Marquise von O ..." und "Sommerhaus, später" anzuwenden, sich dabei aber eine kritische Haltung bewahrt.
S. 176: Anhang eines Textes von Rolf Michaelis geht es um die Frage der Rezeption, also der Wirkungsgeschichte von "Sommerhaus, später": Damit erlaubt es die Unterrichtsreihe neben der "Produktionsseite" eben auch die Wirkung beim Leser mit in den Blick zu nehmen.
Insgesamt hat man den Eindruck, dass Michaelis doch etwas leichtfertig von "einer großen, lebenszerstörenden Liebe" spricht. Man fragt sich doch, ob die Erzählerin in "Sommerhaus, später" nicht mit jedem anderen in gleicher Weise halbherzig losgezogen wäre, der Abwechslung und wenigstens ein bisschen Ziel in ihr einförmiges Cliquen-Leben bringt.
Und ob hier ein Leben zerstört wird, weiß man auch nicht so genau. Vielleicht ist es Stein auch einfach leid, sich mit diesen unerwachsenen Leuten abzugeben.
Und ob Judith Hermann recht hat, wenn sie der Seele nur "das Traurige, Schöne und Fremde" jeweils als Grundzug zuordnet. Warum nicht auch das Eigene? Warum wird alles aus der Perspektive nur der Ich-Erzählerin gesehen und nicht auch aus der von Stein?
S. 177/178: Hier geht es auf der Basis von zwei Texten um die Frage "Kunst oder Kitsch"
und zugleich um die Textsorte "Rezension", was gut zum Bereich der'Rezeption passt. Auf diese Weise bekommen die Schüler gute Einblicke in das Modell der literarischen Kommunikation.
Präsentiert wird eine sehr pauschale und extrem wertende Unterscheidung zwischen literarischer Massenware, die nur auf wirtschaftlichen Erfolg aus ist, und anspruchsvoller Literatur , vor allem im ästhetisch-formalen Bereich. Wenn dann auch noch Marcel Reich-Ranicki gewissermaßen zu den Verächtern großer Literatur gezählt wird, ist man schon ein bisschen verblüfft. Ihm ist es doch immerhin gelungen, ein recht großes Publikum für durchaus ernstzunehmende Literatur zu interessieren.
Man ist auch erstaunt, wie sehr jemand, der doch von möglichst vielen gelesen werden will, möglichst viele aus seinem Zielradar ausblendet. Wie passt dieser Ansatz zu der Idee, dass Kunst für alle da ist und auch letztlich von allen gemacht werden kann. Qualität ist in der jeweiligen Gegenwart ein sehr subjektives Kritierium in der Kunst. Später mag deutlicher werden, was von Dauer ist.
Dementsprechend ironisch fällt auch die anschließend präsentierte Kritik von Uwe Wittstock aus - mit deutlicher Kritik an den Grenzen der Reichweite der sogenannten "Moderne" und viel Sympathie für alle Bemühungen, die Kunst und damit auch die Literatur "aus der Erstarrung zu reißen und zu erfrischen".
S. 179: Den Schluss bildet zunächst einmal ein Text, in dem in Frage gestellt wird, ob heute Erzählungen
überhaupt noch die Bedeutung von früher haben können. Zum Ersatz werden möglicherweise moderne Songstexte, von denen zwei präsentiert werden: Zum einen "Sohn der Leere" von den "Ärzten" und "Wünsch dir was" von den Toten Hosen.
Der erste Song ist eine große Klage angesichts des Verschwindens der "Wiesen / Elfen, Einhörner und Riesen" und der Feststellung einer großen Leere.
Der zweite Song behauptet demgegenüber einfach wieder die Rückkehr all dessen, woran man in der Kindheit geglaubt hat. Man weiß nicht so recht, ob das ernst gemeint ist oder eine selbstironische Präsentation frommer Wünsche.
Fazit: Diese Unterrichtsreihe hat uns zum einen wegen ihrer Untersuchungsaspekte (sieht man einmal von den Fragen von Ort und Zeit ab) gefallen. Besonders wertvoll wird sie aber auch wegen der eben kurz vorgestellten vielfältigen Zusatzmaterialien.
Literatur der 90er Jahre - Auswertung einer Telekolleg-Zusammenfassung
Im Folgenden werten wir ein Info-Material im Hinblick auf die Erzählung "Sommerhaus, später" aus, das der Bayerische Rundfunk im Rahmen seiner Telekolleg-Sendungen anbietet.
Zunächst geht es beim Thema "Literatur der 90er Jahre" um die Unterscheidung zwischen Epochenbegriff und Stilbegriff.
Interessant dann die dialektische Gegenüberstellung der Literatur der 70er und 80er Jahre und der der 90er Jahre.
Interessant ist hier der Hinweis auf das angebliche Ausweichen in ästhetische Fragen zu Lasten menschlicher und historischer Fragen in der Literatur davor - und nun eine "Wiederentdeckung des Erzählens".
Eine schöne Übersicht wichtiger Aspekte gibt es im Hinblick auf Popliteraten wie Rainald Goetz, Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht
sie erzählen von einer Welt, "in der sie ständig auf Trab sind und die sie in Trab hält."
"die Welt der Supermärkte, Werbespots, Jugendkulturen und des perfekten mediengerechten Stylings, in der sie wissen, wie sie ihre Show abziehen müssen."
wir setzen das hier noch fort.
Vergleich der Novelle "Sommerhaus später" mit der Doppelerzählung "Gefahr" aus Kehlmanns Roman "Ruhm"