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Heine, "Mir träumte ..."


Heinrich Heine, "Mir träumte wieder der alte Traum" - ein Liebesgedicht zwischen Traum und Wirklichkeit

Dieses Gedicht von Heinrich Heine ist vor allem interessant, weil es mit Wirklichkeitsebenen spielt und am Ende auch noch einen humorvollen Akzent setzt. Wir zeigen im Folgenden, wie man es verstehen kann.
Heinrich Heine,

Mir träumte wieder der alte Traum

(1)
Mir träumte wieder der alte Traum:
Es war eine Nacht im Maie,
Wir saßen unter dem Lindenbaum,
Und schwuren uns ewige Treue.

(2)
Das war ein Schwören und Schwören auf’s Neu’,
Ein Kichern, ein Kosen, ein Küssen;
Daß ich gedenk des Schwures sey,
Hast du in die Hand mich gebissen.

(3)
O Liebchen mit den Aeuglein klar!
O Liebchen schön und bissig!
Das Schwören in der Ordnung war.
Das Beißen war überflüssig.
Anmerkungen zu dem Gedicht
(Wir gehen hier streng "induktiv" vor, d.h. wir setzen kein "germanistisches" Wissen voraus. Das heißt: Wir nähern uns dem Gedicht einfach als aufmerksamer Leser.)

  1. Das Gedicht beginnt mit dem Bekenntnis des Lyrischen Ichs, dass es wieder mal einen Traum geträumt hat, der es wohl schon lange beschäftigt.
    Inwieweit es sich um einen realen Traum handelt oder "nur" um eine Erinnerung oder eine Art Tagtraum bleibt offen und ist auch für die Aussage des Gedichtes unerheblich.
  2. Es scheint immer der gleiche Inhalt zu sein, der im Rest der 1. Strophe und in der 2. Strophe beschrieben wird.
    Es geht um eine romantische Situation, in der sich zwei Liebende "ewige Treue" schwören.
    Soweit ist das nichts Ungewöhnliches, Ähnliches gilt auch für das "Kichern", das "Kosen", das "Küssen" - eine schöne Steigerung in der liebevollen Annäherung.
  3. Dann aber die plötzliche Wende: Dieses Liebesgegenüber gibt sich damit nicht zufrieden, sondern geht zur Sache, verpasst dem Geliebten gewissermaßen ein Andenken, das auch noch schmerzhaft ist. Heute würde man wahrscheinlich zum Mittel des Tattoos greifen.
  4. Die letzte Strophe verlässt dann die Ebene des Traums und gibt eine Art Kommentar ab, der sich an sein "Liebchen" richtet, aber wohl auch an alle, die in der gleichen Situation sind, den Partner durchaus auch ein bisschen schmerzhaft zur Treue zu verpflichten:
    In zwei Zeilen wird zunächst die Geliebte angesprochen - mit samt ihren Vorzügen, von denen der dritte dann aber schon ironisch gebrochen erscheint. Denn das Bissige liebt dieses Lyrische Ich nun wirklich nicht.
    Dementsprechend auch das deutliche Statement: Der Liebesschwur war schon in Ordnung, aber die schmerzhafte Vertiefung der Beziehung nicht.
  5. Damit steht der Leser nun vor der Frage, was das zu bedeuten hat: Es ist wohl so, dass das Lyrische Ich und wohl auch Heine offen lassen will, ob der Schwur für die Treue reichte - oder ob es ihm reichte, die Situation des Schwurs mit ihren angenehmen Begleiterscheinungen erlebt zu haben (also: ggf. auch nach dem Motto "Küssen und vergessen!") - da passt keine Art von Schmerz dazu.
    Vor dem Hintergrund läge dann der Gedanke nicht fern, dass dieses Lyrische Ich möglicherweise bei der nächsten Gelegenheit auch nicht den Schmerz des Verzichts auf eine Liebschaft erleben möchte.
  6. Vor diesem Hintergrund kann "der alte Traum" natürlich auch stehen für die Einstellung mancher Männer, die das Liebeserlebnis wollen, aber nicht bereit sind, auch die entsprechende Verantwortung zu übernehmen.
  7. Noch eine Ergänzung: Was aus Liebe werden kann, wird in Bertolt Brechts Gedicht "Erinnerung an die Marie A." sehr deutlich. Vielleicht hätte sie das Lyrisch Ich auch in die Hand beißen sollen, damit die Liebe ernstgenommen wird.


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