Vergleich der Gedichte "Seefahrt" und "Glückliche Fahrt" von Goethe
Ein Vergleich dieser Gedichte ist besonders interessant, weil da sowohl biografische Veränderungen beim Autor als auch Unterschiede der Epochen "Sturm und Drang" und "Klassik" sichtbar werden.
In einer Klausur wird sicherlich "Seefahrt" als Ausgangspunkt genommen - und dann folgt der Vergleich mit "Glückliche Fahrt", einem deutlich kürzeren Gedicht.
Im Unterricht kann auch noch "Meeresstille" hinzugenommen werden, weil diese beiden Gedichte zusammen ein Gesamtbild darstellen, das mit "Seefahrt" vergleichbar ist.
Was die Risiko-Bereitschaft angeht, kann auch noch das Gedicht "Frische Fahrt" von Eichendorff hinzugenommen werden. Man kann dann gut feststellen, dass Goethe durchaus in seiner Jugend etwas von der Risikobereitschaft und Unbedingtheit der Romantiker in sich trug - was er später als Klassiker ablehnte.
Mögliche Aufgabenstellung für eine Klausur
Aufgabenstellung:
1. Analysieren Sie das Gedicht "Seefahrt" von Goethe.
2. Vergleichen Sie dieses 1777 entstandene Gedicht mit dem Gedicht "Glückliche Fahrt" desselben Autors, entstanden wahrscheinlich 1795, unter dem Gesichtspunkt wichtiger Epochenmerkmale.
Verständnishilfe in Form einer mp3-Datei
Hinweise zur Lösung
Im Folgenden wollen wir zeigen, in welcher Reihenfolge man am besten diese beiden Aufgaben löst. Dabei geht es uns um die Abfolge der Arbeitsschritte.
Einleitung: Vorstellung des Textes
- Bei der Vorstellung des Textes kann man eine Art Formular verwenden:
- "Bei dem vorliegenden Text
- handelt es sich um ein Gedicht
(ggf. kann/muss man hier noch ein bisschen genauer sein und die Art des Gedichtes nennen: Naturgedicht, Reisegedicht, Gedankengedicht, Stadtgedicht u.ä.)
- von Johann Wolfgang Goethe
- mit dem Titel "Seefahrt",
- das im Jahre ... entstanden ist / veröffentlicht worden ist
(Die entsprechenden Angaben sind in der Regel auf dem Aufgabenblatt zu finden.)
- [und damit rein zeitlich in die Zeit des Sturm und Drang fällt]
Dieser Punkt muss hier nicht unbedingt auftauchen.
Thema und Deutungshypothese
- Das Thema
sollte als Problem- oder Fragestellung formuliert werden. Das kann man eigentlich erst leisten, wenn man das Gedicht fertig interpretiert hat. Von daher vielleicht erst mal eine Lücke lassen, aber am Ende nicht vergessen.
---
In diesem Falle könnte man das Thema des Gedichtes zum Beispiel so formulieren:
"In dem Gedicht geht es um die Möglichkeiten und die Gefahren einer Seefahrt und die Frage, wie man damit umgeht."
@@@
- Unter einer Deutungshypothese
versteht man die vorläufige Annahme der Aussage und vielleicht auch der Bedeutung des Gedichtes.
- Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Man kann nach dem ersten Lesen eine wirklich vorläufige Deutungshypothese formulieren. Das ist in sofern interessanter, weil dann eine gewisse Spannung bleibt, inwieweit die am Ende korrigiert werden muss oder sich bestätigt.
--- - Eine solche echte Deutungshypothese könnte etwa lauten:
Das Gedicht zeigt die Gefühle und das Verhalten von Menschen angesichts der Widrigkeiten und der Gefahren der Naturelemente bei der Seefahrt. - @@@
- Die zweite Möglichkeit verfolgt einen eher deduktiven (vom Ergebnis zu den Details gehenden) Ansatz, der von manchen Lehrern auch favorisiert wird: Dabei formuliert man am Anfang wirklich schon das Endergebnis der Analyse und zeigt dann im Folgenden, wie man darauf gekommen ist bzw. wie man das rechtfertigen kann. Dann ist es aber eigentlich keine Hypothese mehr - denn man hat ja schon die Erkenntnis. Für den Leser allerdings ist es natürlich erst mal eine Behauptung, die noch bewiesen werden muss.
- ---
- Eine fertige Deutungshypothese zu diesem Gedichte könnte etwa lauten - das wäre dann weitgehend identisch mit der Intentionalität:
Das Gedicht zeigt:
Die Gefühle von Menschen vor und während einer langen ersehnten Seefahrt.
Außerdem wird gezeigt, wie sich in einem besonderen Fall jemand angesichts existenzieller Bedrohung durch Wind und Wellen während eines Sturms verhält.
Schließlich wird besonders am Ende das Selbstbewusstsein, aber auch die Risikobereitschaft dieses Menschen deutlich.
@@@
- Noch ein abschließender Hinweis: Auf jeden Fall sollte man während der Analyse auf die Deutungshypothese verweisen.
- Wir versuchen das im Folgenden mal beispielhaft.
Äußere Form des Gedichtes - Strophenform, Reim und Rhythmus
- 8 Strophen mit 4, 6, 4, 7, 5, 8, 6, 6 Zeilen [Hier könnte man später prüfen, ob die Länge der Strophen etwas mit dem Inhalt zu tun hat.]
- Reimschema: Darauf ist verzichtet worden, was schon mal gut zum Sturm und Drang und seinem Verzicht auf Regeln passt.
- Versmaß: Es beginnt mit einem fünfhebigen Trochäus, der dann in der zweiten Zeile bereits um eine Hebung erweitert wird. Wenn man stichprobenartig die weiteren Strophen durchprüft, haben nur weitere Trochäen-Verse gefunden. Von der Länge der Verse sind einige Schlussverse besonders kurz gehalten - mit nur zwei Hebungen. Auch hier sollte man schauen, ob das mit dem Inhalt was zu tun haben kann.
Aufnahme des Inhalts des Gedichtes
Aufnahme des Inhalts des Gedichtes:
Wie immer empfehlen wir, auf die Sprecheraktivitäten zu achten, also das, was mit das Lyrische Ich mit dem, was es sagt, eigentlich tut.
Dann versuchen wir, die verschiedenen Signale zu bündeln, um Aussagerichtungen zu erkennen.
Wichtig ist, dass man lückenhafte oder schwierige Stellen nur vorsichtig, also hypothetisch und möglichst mit Begründung mit Sinn füllt.
Im Sinne der Verstehenslehre der Hermeneutik, prüfen wir unsere Verständnisideen immer am Text und belegen sie möglichst weitgehend.
Seefahrt
(1)
Lange Tag' und Nächte stand mein Schiff befrachtet;
Günst'ger Winde harrend, saß mit treuen Freunden,
Mir Geduld und guten Mut erzechend,
Ich im Hafen.
- Rückblick des Lyrischen Ichs auf eine lange Liegezeit des Schiffes - schon hier kann man davon ausgehen, dass ein Schiffseigner ("mein Schiff") bzw. der Kapitän nicht gerne Zeit verliert, wenn er bereits Fracht an Bord hat.
- [Bezug zur Deutungshypothese: Große Gefühle kommen hier noch nicht heraus, aber es wird doch recht anschaulich die Warte-Situation deutlich. Wichtig und typisch für den Sturm-und-Drang auch die Bedeutung der Freundschaft.]
- Methodik: Eine Sprecheraktivität ist hier verbunden worden mit einer Hypothese, die sich aus Alltagswissen ergibt, das man haben kann, aber nicht haben muss und dem auch im Einzelfall widersprochen werden kann. Von daher sollte man so etwas immer vorsichtig und methodisch bewusst (eben als Alltagswissen-Hypothese) kenntlich machen - wie es hier auch gemacht worden ist: "kann man davon ausgehen".
- Zum Beispiel kann "mein Schiff" ja auch einfach bedeuten, dass man mit diesem Schiff die Reise unternehmen will. Allerdings würde man dann das "befrachtet" möglicherweise nicht so stark betonen.
- Die 2. bis 4. Zeile wendet sich dann der Situation des Lyrischen Ichs zu: Betont werden zwei Aspekte, nämlich das Warten auf günstigen Wind in der Segelschiffszeit und das Zusammensein mit "treuen Freunden", bei dem man sich "Geduld und guten Mut" antrinkt. Die letzte Zeile bringt das Problem auf den Punkt: "Ich im Hafen" - wo der Leser doch weiß, dass ungeduldig auf den Beginn der Reise gewartet wird.
(2)
Und sie waren doppelt ungeduldig:
"Gerne gönnen wir die schnellste Reise,
Gern die hohe Fahrt dir; Güterfülle
Wartet drüben in den Welten deiner,
Wird Rückkehrendem in unsern Armen
Lieb und Preis dir."
- Die zweite Strophe beschreibt dann genauer das Verhalten und die Einstellung der Freunde:
- Es gibt sogar die Steigerung der Ungeduld bei ihnen ins Doppelte hinein:
- Sie wünschten das Beste für die Reise
- und gehen davon aus, dass "in den Welten deiner" eine regelrechte "Güterfülle" wartet, also viel zu erwerben ist.
- Darüber hinaus gibt es dann den Ausblick auf die Situation nach glücklicher Rückkehr, nämlich eine Umarmung mit Liebe und "Preis", womit wohl so etwas wie "Lobpreis" gemeint ist.
- [Bezug zur Deutungshypothese: Auf jeden Fall gibt es hier eine Steigerung der Anschaulichkeit und der Darstellung der Freundschaftsbeziehung.]
(3)
Und am frühen Morgen ward's Getümmel,
Und dem Schlaf entjauchzt uns der Matrose,
Alles wimmelt, alles lebet, webet,
Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen.
- In dieser Strophe wird jetzt die große Wende beschrieben, das Wort "Getümmel" macht deutlich, dass jetzt alles erst mal mehr oder weniger durcheinanderläuft.
- Eine sehr eigenwillige Formulierung mit Neologismus findet sich dann in der zweiten Zeile, wo davon die Rede ist, dass der Matrose, stellvertretend für alle, die jetzt mit dem Aufbruch des Schiffs beschäftigt sind, das lyrische ich und möglicherweise seine Begleiter nicht nur aufweckt, sondern zum Jauchzen bringt, also zu Ausdrücken größter Freude.
- Die dritte Zeile geht dann etwas genauer auf das Getümmel ein, indem drei Begriffe deutlich machen, dass zum einen das Gewimmel weitergeht, das aber insgesamt auch Leben ausstrahlt und den richtigen Zusammenhang herstellt, ein Gewebe.
- Die Ausfahrt des Schiffes wird hier mit der Herstellung eines Kleidungsstückes beziehungsweise Stoffs verglichen.
- Die letzte Zeile geht dann auf das Ziel all dieser Aktivitäten ein, nämlich wirklich loszufahren und dabei auch das kleinste Element Wind zu nutzen, das als Segen empfunden wird, also als etwas absolut Positives, das eben auch dann Positives hervorbringen kann.
- [Bezug zur Deutungshypothese: Hier haben wir einen ersten Höhepunkt in Richtung Lebendigkeit und Originalität der Darstellung.]
(4)
Und die Segel blühen in dem Hauche,
Und die Sonne lockt mit Feuerliebe;
Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken,
Jauchzen an dem Ufer alle Freunde
Hoffnungslieder nach, im Freudetaumel
Reisefreuden wähnend wie des Einschiffmorgens,
Wie der ersten hohen Sternennächte.
- Auch die ersten beiden Zeilen dieser Strophe sind sehr originell, indem sie die Wirkung des ersehnten Lufthauchs nun auf die Segel übertragen, wie wenn es sich um eine Blumenwiese handeln würde.
- Auch das, was über die Sonne gesagt wird, ist sehr ungewöhnlich und verbindet Lockung mit Feuer und Liebe.
- Man merkt hier deutlich, wie viele Schwierigkeiten und zugleich Einfallsreichtum dieses lyrische Ich entwickelt, um seine Gefühle einigermaßen wiedergeben zu können.
- Ab der 3. Zeile wird dann eine Verbindung hergestellt zwischen dem Vorankommen des Schiffes und der Freude der Freunde am Ufer, die davon ausgehen, dass es jetzt so weitergehen wird wie am Anfang.
- [Bezug zur Deutungshypothese: Hier geht das wie in der vorigen Strophe weiter - mit einem hohen Maß an Anschaulichkeit und auch weiterhin Experimentierlust im Bereich der Sprache.]
(5)
Aber gottgesandte Wechselwinde treiben
Seitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab,
Und er scheint sich ihnen hinzugeben,
Strebet leise sie zu überlisten,
Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege.
- Der Beginn der fünften Strophe macht deutlich, dass die Götter ihr eigenes Spiel machen und in diesem Falle dafür sorgen, dass das so hoffnungsvoll gestartete Schiff seitwärts abgetrieben wird.
- Interessant ist die Reaktion des Schiffers: Er reagiert nämlich nicht mit einem Sich-entgegen-Stemmen, sondern versucht auch diese Situation klug zu nutzen.
- Wichtig ist die dahinterstehende Grundhaltung, die in der fünften Zeile so beschrieben wird, dass es nur auf die Verfolgung des Ziels ankommt und man zwischendurch durchaus Kompromisse machen kann und vielleicht sogar muss.
- Wer sich in dem Bereich ein bisschen auskennt, kann den Eindruck haben, dass hier von dem jungen Goethe ein ziemlich kluges Lebensrezept präsentiert wird, was sehr stark der chinesischen Philosophie des Laotse entspricht: Das weiche Wasser besiegt auch den härtesten Stein.
- [Bezug zur Deutungshypothese: Hier wird es etwas ruhiger, aber es zeigt sich dafür Spannung, weil sich ja gewissermaßen im Untergrund ein Kampf abspielt, der aber eher noch auf der Ebene des Wettkampfes abläuft.]
(6)
Aber aus der dumpfen, grauen Ferne
Kündet leisewandelnd sich der Sturm an,
Drückt die Vögel nieder aufs Gewässer,
Drückt der Menschen schwellend Herz darnieder,
Und er kommt. Vor seinem starren Wüten
Streckt der Schiffer klug die Segel nieder,
Mit dem angsterfüllten Balle spielen
Wind und Wellen.
- In der sechsten Strophe verstärken sich dann die Widerstände noch und verbinden sich sogar mit den Gefahren, die sich durch einen Sturm ergeben.
- Aber auch hier reagiert der Schiffer wieder klug, indem er einfach die Segel abnimmt und sich die Elemente austoben lässt.
- Angst gehört dabei offensichtlich zum Leben genauso dazu wie Klugheit.
- [Bezug zur Deutungshypothese: Hier wird aus der Spannung Dramatik - und es zeichnet sich schon ein bisschen Heldenhaftigkeit ab, weil das Schiff zwar zum Spielball der Wellen wird, aber der Schiffer Ruhe bewahrt und weiter auf seine Klugheit setzt.]
(7)
Und an jenem Ufer drüben stehen
Freund' und Lieben, beben auf dem Festen:
"Ach, warum ist er nicht hier geblieben!
Ach, der Sturm! Verschlagen weg vom Glücke!
Soll der Gute so zugrunde gehen?
Ach, er sollte, ach, er könnte! Götter!"
- Die siebte Strophe wechselt dann die Perspektive: Jetzt geht es um die Freunde, die offensichtlich die Ereignisse dieser Seefahrt noch mitbekommen und jetzt sich ganz ihrer Angst um den Freund hingeben, denn sie können ja nichts tun -
- außer in recht hilflos wirkender Weise die Götter anzurufen.
- [Bezug zur Deutungshypothese: Hier wird jetzt ein Kontrapunkt zur Ruhe und Gelassenheit des Schiffers präsentiert, die die Achtung vor ihm noch erhöht.]
(8)
Doch er stehet männlich an dem Steuer;
Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen;
Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen:
Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe
Und vertrauet, scheiternd oder landend,
Seinen Göttern.
- Die letzte Strophe präsentiert dann den Höhepunkt und die entscheidende Aussage dieses Gedichtes. Hier präsentiert sich ein junger Mann, den anscheinend nichts wirklich erschrecken kann, weil er sich im Einklang mit seinen Göttern fühlt, die es ihm ermöglichen, auch eine solche Situation im wahrsten Sinn des Wortes zu beherrschen.
- Für die, die diese Gedichte auch zufällig kennen: Was dieses unbändige Selbstbewusstsein angeht, wird man an den Schluss des Gedichtes "An Schwager Kronos" erinnert. Auch das Gedicht "Prometheus" hat sicherlich Querbezüge hier zu.
- [Bezug zur Deutungshypothese: Hier nun der absolute Höhepunkt. Hervorgehoben werden die ruhige Männlichkeit des Schiffers, aber auch seine Herzhaftigkeit, ja sogar eine herrscherliche Haltung - die bereit ist, beides in Kauf zu nehmen, das Scheitern in den Wellen oder eben das glückliche Anlanden. Hier wird der Eindruck erweckt, dass es sich um einen Menschen handelt, der ggf. auch untersteht, aber dabei nicht wirklich unterliegt.]
Zusammenfassung der Textsignale zur Intention
- Bei einer "guten" Deutungshypothese, die sich entweder in der Analyse bewahrheitet oder entsprechend bewiesen werden kann, hat man eigentlich in der Regel auch schon die Aussage bzw. die Aussagen des Gedichtes.
- In diesem Falle hatten wir oben schon mal notiert (wir empfehlen immer, von dem Satzanfang "Das Gedicht zeigt ..." auszugehen):
- Das Gedicht zeigt:
- Die Gefühle von Menschen vor und während einer langen ersehnten Seefahrt.
- Außerdem wird gezeigt, wie sich in einem besonderen Fall jemand angesichts existenzieller Bedrohung durch Wind und Wellen während eines Sturms verhält.
- Schließlich wird besonders am Ende das Selbstbewusstsein, aber auch die Risikobereitschaft dieses Menschen deutlich.
Unterstützung der Aussagen durch künstlerische (sprachliche) Mittel
- Wichtig ist hier, nicht einfach irgendwelche Mittel, die man gefunden hat, aufzulisten.
- Vielmehr sollte man zeigen, welche Mittel die Aussage(n) unterstützten:
- Natürlich kann man, wenn man genügend Zeit hat, erst mal alles in der Reihenfolge auflisten
- und dann "bündeln" - und dabei den Aussagen zuordnen.
- Oder, wenn man wenig Zeit hat, versucht man zusammenfassend zu zeigen, welche Mittel die Aussagen unterstützen.
- Wir konzentrieren uns auf diese zweite Variante:
- ---
- Um die Gefühle der Menschen vor und während einer langen ersehnten Seefahrt zu zeigen,
- wird mit Gegensätzen gearbeitet:
- "stand" - "befrachtet" (1): Fracht soll bewegt werden, hier aber "steht" sie im Hafen.
- "Ich im Hafen" = macht dieses Missverhältnis ebenfalls deutlich.
- Zugleich eine ziemlich extreme Inversion, also eine Veränderung des normalen Satzbaus, bei dem hier das Subjekt ziemlich am Ende erst auftaucht.
- Später der Gegensatz zu Beginn der Strophe 5: "Aber"
- Wiederholungen:
- "doppelt ungeduldig" - "Gerne", "gern" (2,1-3)
- vgl. auch 7,3u4
- Dann die Begeisterung über die Aufbruchsstimmung:
- Steigerung in 3,3: "wimmelt", "lebet", "webet": Vom Durcheinander über das Begreifen des Lebens bis zum Verständnis der Ordnung, die dabei entsteht.
- Neologismus: "Segenshauch", zugleich Metapher, vgl. auch "Einschiffmorgens" in 4,6. Vgl. auch "entjauchzt" in 3,2.
- Dann die Freude über die Fahrt:
- Parallelismen in 4,1u2 sowie die Wortwiederholung in 4,3 - Schließlich die Ängste der Freunde in direkter Rede mit rhetorischen Fragen in 7,3-6.
- Wahrnehmung des Sturms als Gegner - Personalisierung: Strophe 6 "leisewandelnd", "Kündet ... an", "Drückt", "Drückt" (wieder mit Wiederholung), "starren Wüten", vgl. "spielen Wind und Wellen" in 8,2, "grimme Tiefe" in 8,4
- Metapher "mit dem angsterfüllten Balle" als Zusammenfassung der Situation der Reisenden.
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- Was das Verhalten des Reisenden / Schiffers angeht:
- Gegensatz:
"Zweck" und "auf dem schiefen Wege",
- "scheint sich ihnen hinzugeben" - "Strebet leise sie zu überlisten" - "Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege".
- Chiasmus in 8,3u4, zugleich Gegensatz
- Bereitschaft zum äußersten Risiko im Gegensatz von "scheiternd" oder "landend" in 8,5.
Empfehlung: Bei vielen künstlerisch-sprachlichen Mitteln: konzentrierte Zusammenfassung
Wenn man viel präsentiert hat, ist es immer gut, am Ende noch einmal eine Zusammenfassung zu präsentieren, die das Wichtigste hervorhebt.
In diesem Falle könnte das so aussehen:
---
Die wichtigsten künstlerischen Mittel sind im sprachlichen Bereich:
- Gegensätze
- Wiederholungen
- Steigerungen
- vor allem Neologismen
- dazu wörtliche Rede
Und im Bereich des Aufbaus eine Dreiteilung in Warten, Glück, Gefahr, wobei hier zu unterscheiden ist zwischen der Sorge der Freunde und dem Heldenmut des Reisenden. Letztlich ergibt sich eine Dreiteilung, bei der der letzte Teil noch mal unterteilt ist.
Überleitung zur 2. Aufgabe: Teil 1:Klärung der Epochen-Kennzeichen beim ersten Gedicht
Aufgabenstellung:
1. Analysieren Sie das Gedicht "Seefahrt" von Goethe.
2. Vergleichen Sie dieses 1777 entstandene Gedicht mit dem Gedicht "Glückliche Fahrt" desselben Autors, entstanden wahrscheinlich 1795, unter dem Gesichtspunkt wichtiger Epochenmerkmale.
- Als erstes sollte man hier jetzt klären, inwieweit sich Epochen-Merkmale des Sturm und Drang in dem eben analysierten Gedicht finden:
- Wenn man sich zum Beispiel mit den Infos aus dieser Web-Seite vorbereitet hat:
https://www.schnell-durchblicken2.de/litgesch-sud - kann man etwa auf Folgendes kommen:
- Geniebegriff - der findet sich hier vor allem am Ende - aber auch schon in Strophe 5 und zum Teil in Strophe 6.
- Dazu passen dann die Neologismen, mit denen versucht wird, auf möglichst originelle Art und Weise Gefühle auszudrücken.
- Was das Phänomen der "Erlebnisdichtung" angeht, kann man das hier im Gedicht durchaus auch feststellen - beginnend mit der großen Freude beim Aufbruch, dann die Erfahrung der Gefahr - einschließlich der Jammerklagen der Freunde - bis hin zum schon erwähnten Heldentum am Ende - zwischen Risikobereitschaft und Vertrauen auf die eigenen (!) Götter.
- Zugleich wird deutlich, dass wichtige Bereiche fehlen, so das Aufbegehren gegen äußere Widerstände, das wird hier zu einem Aufbegehren gegen die Naturgewalten.
- Am Ende könnte man noch einmal auf den Gedanken der "Bruchstücke einer großen Konfession" eingehen, die hier nur in drei Elementen zu finden sind:
- einem hohen Maß an Subjektivität
- verbunden mit intensiver Freundschaft
- und schließlich einer besonderen Form des Götterglaubens, nicht von ungefähr spricht das Lyrische Ich bzw. die Person, auf die es blickt und die wohl identisch ist, von "Seinen Göttern".
Überleitung zur 2. Aufgabe
Überleitungen sind immer wichtig, weil sie zeigen, dass man den "Sinn", das Ziel der Aufgabenstellung nicht nur verstanden, sondern auch im Blick hat.#
Als erstes muss man natürlich das zweite Gedicht gelesen haben, um ggf. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen. Denn auch hier kann man natürlich eine Hypothese für die Lösung der zweiten Aufgabe formulieren.
Man merkt sofort:
- Es geht ebenfalls um eine Fahrt und zwar auch um eine Seefahrt bzw. Seereise.
- Dann sieht man bereits an der Überschrift, dass dieses Gedicht wohl eindeutiger positiv ist als das erste.
- Das braucht man jetzt nur noch mit zentralen Epochen-Kennzeichen des ersten Gedichtes zu verbinden, die Gefühls- und Erlebnisintensität und das hohe Maß an Subjektivität und zwar in Richtung Selbstbewusstsein sowie die heldenhafte Bereitschaft, jede mögliche Gefahr anzugehen und dabei gewiss zu sein, dass man sie mit "seinen Göttern" bestehen wird.
Formulierungsvorschlag:
Wenn man sich das zweite Gedicht anschaut, wird gleich klar, dass es hier auch um eine Seereise geht, die aber eindeutig als "glückliche" bezeichnet wird. Im Folgenden soll geklärt werden, inwieweit bei ihrer Präsentation im Gedicht andere Epochenkennzeichen festzustellen sind. Vom Zeitpunkt der Entstehung bzw. Veröffentlichung kann man erst mal davon ausgehen, dass hier im Sinne der klassischen Dichtung eine Situation bzw. ein Erlebnis geschildert wird.
Johann Wolfgang Goethe
Glückliche Fahrt
01 Die Nebel zerreißen,
02 Der Himmel ist helle,
03 Und Äolus löset
04 Das ängstliche Band.
05 Es säuseln die Winde,
06 Es rührt sich der Schiffer.
07 Geschwinde! Geschwinde!
08 Es teilt sich die Welle,
09 Es naht sich die Ferne;
10 Schon seh' ich das Land
Vergleichende Untersuchung des zweiten Gedichtes
- Hier hat man verschiedene Möglichkeiten, natürlich kann man erst alle möglichen Kennzeichen der klassischen Lyrik aufzählen und dann abgleichen.
- Besser ist es aber wohl, sie im Kopf zu haben und/oder sie sich gleich während der Klausur auf einem Notizzettel zu notieren, um sie dann im Fortgang des Gedichtes zu prüfen.
- ---
- Schon der Titel geht eher ins Klassische, denn es geht um Glück und damit auch um Harmonie.
- Dann ist von günstigen Umständen die Rede, die einem Gott, nämlich dem der Winde (Äolus) zugeordnet wird. Auch das ist Harmonie - diesmal zwischen den Menschen und den Mächten des Himmels und auch der Natur.
- Die wird hier gewissermaßen gottdurchwirkt vorgestellt, d.h. in der Natur zeigt sich das Wirken der Götter.
- Die positive Reaktion auf die günstigen Umstände wird sehr ruhig präsentiert, weniger intensiv als im ersten Gedicht.
- Auch die doppelte Mahnung erscheint recht verhalten bzw. ruhig.
- Die letzten drei Zeilen präsentieren ebenfalls Harmonie - alles läuft nach Plan.
- Halten wir also fest: Ganz im Sinne der Klassik zeigt sich hier in mehrfacher Hinsicht Harmonie, die auch in der ruhigen Sprache zum Ausdruck kommt.
- Der kleine Ausflug in eine kurzzeitig "ängstliche" Haltung spielt keine große Rolle.
- Wichtig ist, dass hier alles nach Plan verläuft, im Einklang mit der Natur und mit den Göttern.
- ---
- Jetzt kann man aber auch etwas Kritik üben: Denn im Vergleich zum ersten Gedicht wirkt dieses Gedicht doch recht harmlos und wenig ergiebig, was große Ideale oder die Bildung des Menschen angeht. Diese größeren und wichtigeren Ideen und dann auch Kennzeichen der Literatur der Klassik spielen hier keine Rolle.
- Und es fehlt auch an einer Sprache, die über das Normale hinausreicht - allenfalls die Zeilen 3 und 4 bieten hier einen Ansatz.
- Auffallend ist die vierfache Einleitung von Zeilen durch das unpersönliche "es", das eine gewisse Dynamik mit sich bringt, weil das eigentlich Wichtige immer erst danach kommt - getrennt durch das, was das Verb ausdrückt, und dann zum eigentlichen Träger der Handlung weiterführt.
Johann Wolfgang Goethe
Glückliche Fahrt
01 Die Nebel zerreißen,
02 Der Himmel ist helle,
03 Und Äolus löset
04 Das ängstliche Band.
05 Es säuseln die Winde,
06 Es rührt sich der Schiffer.
07 Geschwinde! Geschwinde!
08 Es teilt sich die Welle,
09 Es naht sich die Ferne;
10 Schon seh' ich das Land
Abschließende Reflexion
- Grundsätzlich sollte man sich angewöhnen, jede längere Antwort auf eine Frage - und eine Interpretationslösung ist das ja auch - mit einem "akzentuierenden" Schluss zu versehen. Gemeint ist damit, dass man Ende noch mal das Wesentliche zusammenfasst, vielleicht auch einen Ausblick wagt.
- In diesem Falle könnte das so aussehen:
- ---
- Wenn man sich abschließend die beiden Gedichte unter dem Aspekt der Epochen, aber auch ihrer Bedeutung für uns heutige Leser anschaut, lässt sich feststellen:
- Das erste Gedicht ist äußerst erlebnisintensiv und wagt sich sogar in Sprachexperimente vor, um Gefühle möglichst gut überzubringen.
- Dazu kommt ein lyrisches Ich, das wohl mit dem Schiffer oder dem Reisenden identisch ist, mit dem man mitfühlt und von dessen selbstbewusster Begeisterung man sich am Ende auch mitreißen lässt.
- Hier zeigen sich also wesentliche Züge des Sturm und Drang bis hin zum Geniekult.
- Was den fehlenden Kampf mit dem sozialen und politischen System angeht, so ist der zum Teil im Kampf mit der Natur zumindest in der Grundhaltung vorhanden.
- Gegenüber dem ersten Gedicht fällt das zweite deutlich ab - es ist nicht schlecht gemacht, aber es lässt große Gedanken und Ideen vermissen, zeigt aber die für die Klassik typische Harmonie zwischen Mensch, Natur und zumindest ansatzweise den Göttern.
Weiterführende Hinweise: