Neuer Text

Uta Regoli, “Über die Alpen”


Uta Regoli, “Über die Alpen” (2013) - mehr als nur Zeitvertreib oder Fingerübung?


Das Gedicht wurde erstmals veröffentlicht:
Aus: Das Gedicht . Zeitschrift für Lyrik Essay und Kritik. Band 21 Weßling: Anton G. Leitner Verlag 2013, S. 52

Im Internet ist es offensichtlich mit Zustimmung der Autorin auf der folgenden Seite veröffentlicht worden:
https://www.vormbaum.net/index.php/gedichte/393


Überschrift und Strophe 1

  • Die Überschrift setzt ein deutliches Signal und enthält bereits eine Anspielung auf die Überwindung des Hindernisses, das sich den Menschen aus dem Norden früher in den Weg stellte, wenn sie ins das sonnige Italien wollten.
  • Diese Konnotation wird auch am Schluss der ersten Strophe direkt aufgenommen, indem auf Goethes berühmte Italienreise hingewiesen wird.
  • Davor eine Anspielung - einmal auf die Menschen der Jungsteinzeit und hier den vor einigen Jahren entdeckten Jäger sowie später auf Hannibal, der die Alpen im Rahmen eines Kriegszuges sogar mit Elefanten überquert hat.
  • Ergänzt wird das durch den Hinweis auf all die anderen, die diese Reise genommen haben. Hier können viele an die Deutschen denken, die nach 1945 ihr Sehnsuchtsland Italien auf diesem Wege aufgesucht haben.

Strophe 2

  • In der zweiten Strophe werden viele Varianten aufgeführt, wie man früher die Alpen überquert hat.
  • Hervorgehoben werden soll dadurch wohl die Mühseligkeit des Unternehmens.

Strophe 3

  • Die dritte Strophe beschreibt nun Varianten der jeweiligen Situation der Reisenden und spielt dabei mit Begriffen, die alle ein Defizit ausdrücken.
  • Das wechselt zwischen dem Mangel an einem wichtigen Gegenstand, nämlich einem Pass,
  • zwei Wörtern, die mit Reisesituationen zu tun haben ("rastlos" und "ratlos")
  • und schließlich einer Einstellung beziehungsweise einem Verhalten ("treulos"), dessen Bezug nicht ganz klar ist.
  • Das kann sich durchaus auf Goethe beziehen, der zum Teil vor Frauen in die Alpen oder auch über sie hinaus geflüchtet ist,
  • oder auch auf einen Adligen im feudalen Herrschaftssystem des Mittelalters.
  • Es kann sich aber auch auf eine Reisegesellschaft beziehen, bei der Einzelne sich verantwortungslos gegenüber den anderen verhalten haben.

Strophe 4

  • Die letzte Strophe geht dann auf die Möglichkeiten der heutigen Zeit ein, die Alpen zu überqueren.
  • Die erste Zeile steht für das Reisen mit dem Auto, in der zweiten Zeile geht es wohl um das Reisen mit dem Zug, in der dritten um das mit dem Flugzeug. Hier werden zwei Fluggesellschaften genannt, wobei es die zweite zur Zeit der Entstehung des Gedichtes schon lange nicht mehr unter diesem Namen gab: https://de.wikipedia.org/wiki/Orion_Airways
  • Überraschend sind dann die zwei letzten Zeilen: Denn da ist nicht mehr klar, ob es sich in der Verlängerung der bisher genannten Möglichkeiten um ein weiteres Transportmittel handelt (bei einem Gedicht natürlich in einem übertragenen Sinne, also in der Fantasie) oder ob man einfach ein Gedicht mitgenommen oder es auf dem Weg verfasst hat.

Allgemeines zum Gedicht: Aussage, Kritik und kreative Ansätze

  • Das Gedicht lebt von zwei Überraschungen, einer kleinen, nämlich dem Wechsel zu modernen Verkehrsmitteln, nachdem es in der Strophe davor schon um ganz andere Dinge gegangen war. Dazu kommt die viel größere, dass am Ende das Gedicht anfängt, sich mit der eigenen Gattung zu beschäftigen und dem Leser damit viele Spielräume des Verständnisses lässt.

  • Insgesamt wirkt das Gedicht aber sehr spielerisch, nicht ganz ernstgemeint. Am einfachsten ist es zu verstehen, wenn man annimmt, dass hier das Lyrische Ich selbst ein Autor oder eine Autorin ist und seine Gedanken im Hinblick auf eine Alpenüberquerung äußert.

  • Sinn bekommt dieses Gedicht wirklich erst, wenn Leser etwas mit ihm und seinen Feststellungen machen:
    • Rückblick auf frühere Zeiten aus der Situation der Nutzung moderner Verkehrsmittel heraus
    • Vielfalt der Situationen beim Reisen
    • Vor allem aber der besondere Reiz der Fantasie, der jeder Reise die mögliche Langeweile nimmt und vielfältige Perspektiven eröffnet.

  • Allerdings muss man wohl Verständnis haben für Leser, die mehr von einem Gedicht erwarten als die Vertreibung von Langeweile oder eine literarische Fingerübung.

  • Wenn man nach Alpengedichten sucht, stößt man auch auf dieses.
    https://gedichte.xbib.de/Adomeit%2C+Irmgard_gedicht_Flugzeugabsturz+%FCber+den+Alpen.htm
    Es versucht, die Gefühle angesichts eines fürchterlichen Flugzeugunglücks über den Alpen in Worte zu fassen.

  • Kreative Anregung:
    Man selbst könnte ein Gedicht schreiben über die Veränderungen in den Alpen angesichts des Tourismus - vielleicht ein Klagelied der Bewohner.

Share by: