Die kranke Lise
Weihnacht! die kranke Lise schreitet
Durchs Faubourg hin in banger Flucht,
Sie hat zu Haus kein Bett bereitet
Für ihres Leibes erste Frucht.
Wohl manches prunkt im Fürstensaale,
Den stolzer Kerzen Glanz erhellt –
Marsch, Lise, weiter, zum Spitale!
Dort kommt das Volk zur Welt.
»Mein armer Weber mag nur zetteln,
Sein Fleiß und Schweiß – was helfen sie?
Das Volk muß Sarg und Wiege betteln;
Allons, enfant de la patrie!
Kind, dem sie unter meinem Herzen
Die Lust am Leben schon vergällt,
Geduld, bis wir im Haus der Schmerzen!
Dort kommt das Volk zur Welt.
Sie feiern heut dem Gott der Armen,
Die reichen Herrn, ein Freudenfest:
Doch glaubt nicht, daß sich das Erbarmen
An ihrem Tische sehen läßt,
Daß je in ihre Festpokale
Der Schimmer einer Träne fällt –
Marsch, Lise, weiter, zum Spitale!
Dort kommt das Volk zur Welt.
Du machst mir wahrlich viel Beschwerden,
Der Liebe Kind, ich dacht es nie;
Das wird ein wilder Junge werden:
Allons, enfant de la patrie!
Für eurer Prinzen zarte Nerven
Ist Daun auf Daune hoch geschwellt:
Ich muß in einer Grube werfen –
So kommt das Volk zur Welt.
Kläng noch die Trommel unserm Ohre
Und wär noch eine Fahne rein:
Der Lappen einer Trikolore,
Er sollte deine Windel sein;
Du wärst getauft, eh seine Schale
Ein Pfaffe dir zu Häupten hält –
Marsch, Lise, weiter, zum Spitale!
Dort kommt das Volk zur Welt.
Wer wird so ungestüm sich melden?
Mein kleines Herz, was suchst du hie?
Nur noch zum Grabe jener Helden!
Allons, enfant de la patrie!
Dort seh ich in des Frührots Helle
Die Julisäule aufgestellt –«
Und niedersank sie auf der Schwelle; –
So kommt das Volk zur Welt!