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Sommerhaus: modernes Erzählen

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Abiturkonzentrat: Modernes Erzählen in "Sommerhaus, später"


Abiturkonzentrat – Bereich „Sommerhaus“ – Bereich „Epoche und Autorin“

Mögliche Aufgabe für Abiturienten in der Phase der Vorbereitung auf das Abitur

Traditionelles und modernes Erzählen
Das Folgende ist eine Übersicht, wie eine Lehrkraft sie sich anlegen würde, um zum Beispiel für eine mündliche Prüfung fit zu sein. Grundsätzlich sollte jeder Abiturient für seine Prüfungsfächer so etwas oder etwas Vergleichbares anlegen.-
Für uns jetzt: Prüft bitte die folgende Übersicht, ob ihr alles „beherrscht“. Wenn es Unklarheiten gibt, bitte nachfragen – ansonsten kann das für das Abitur als bekannt und verstanden vorausgesetzt werden.

(ART Karl Migner, Tendenzen der Romangestaltung im 20. Jhdt., 1970)
(ART = Abiturrelevanter Text)
Bezugstext: Grundkurs. Faust I / Die Marquise von O... / Sommerhaus, später / Expressionismus / Mehrsprachigkeit.Schülerarbeitsbuch. Abitur 2019. Deutsch. Nordrhein-Westfalen
Bildungshaus Schulbuchverlage, Braunschweig 2017, S. 174-175


Veränderung im 20. Jhdt:
  • Erzähler Tendenz 1: fast unbeschränkte Freiheit für den Erzähler, für die Gestaltung des Helden, der Handlung und des Aufbaus sowie der Bausteine des Erzählens (erlebte Rede – Innerer Monolog, szenische Darstellung, Erzählerbericht, Kommentar usw.)
    „Sommerhaus, später“: Fragmentarische und kommentierende Ich-Perspektive der Erzählerin, über die deshalb nicht hinausgeblickt werden kann; Migner spricht hier vom „völligen Aufgehen in einer Figur, aus deren Perspektive die Welt gesehen wird“
  • Spiel mit den Zeitebenen am Anfang; Beschränkung auf Andeutungen in den Dialogen
  • Erzähler Tendenz 2: Bemühen um möglichst unmittelbare Darstellung der komplexen „Wahrheit“im Hinblick auf Mensch und Welt, dabei Verzicht auf Realitätstreue
    Anm: Das entspricht dem Expressionismus, dem es auch eher um die gefühlte, erfahrene Realität geht, weniger um die scheinbar echte, die man vor Augen hat.
  • Rückblick: Verzicht auf den souveränen Erzähler des 19. Jhdts, der alles weiß und auch kommentiert. Vgl. Kleist in „Die Marquise von O“

Helden- und Menschenbild:
  • Interesse an der menschlichen Substanz der Figuren, in der Abhängigkeit von Gesellschaft bzw. Außenwelt
    Das trifft besonders für die Ich-Erzählerin zu, Stein setzt eher eigene Akzente
  • Konzentration auf das Innenleben:
    spielt in „Sommerhaus, später“ bei der Ich-Erzählerin eine große Rolle, bei Stein bekommen wir es nur indirekt, z.T. über Körpersprache mit
  • Eher ein Scheiternder, also negativer Held
    wie etwa in Büchners Woyzeck, hier bei Stein ansatzweise gegeben, bei der Ich-Erzählerin möglicherweise viel mehr, aber nicht so sichtbar (Brand des Hauses)
  • Nicht mehr wie früher eine Vorbildfigur, keine statische Figur mehr, eine gewisse Berechenbarkeit, psychologisierend, es geht mehr um Möglichkeiten;
    in Sommerhaus so nicht gegeben, Figuren verhalten sich überraschend, lassen sich treibend, wie man besonders am Anfang am Verhalten der Ich-Erzählerin sieht.

Aufbau/Struktur:
  • Freiere Konstruktion und Montage:
    spielt in Sommerhaus weniger eine Rolle
  • Mischung der zeitlichen Ebenen
    Sommerhaus: am Anfang gegeben
  • Vorrang des Innenraums der Figuren:
    Sommerhaus, bei der Ich-Erzählerin gegeben
  • Weniger Interesse an einer erzählenswerten geschlossenen Handlung (vgl. Novelle), also Offenheit der Handlung
    vgl. Büchners Woyzeck
  • Zuständlichkeit wichtiger als Abläufe, in Sommerhaus weniger gegeben, da Zuständlichkeit und Abläufe zusammenfallen
  • Unsicherheit größer, weniger Berechenbarkeit
    (als etwa in Goethes Faust): Sommerhaus: gegeben, das bedeutet auch eine gewisse Spannung, wie es weitergeht
  • An die Stelle der Kontinuität tritt Intensität:
    Sommerhaus, nur gefiltert durch die Ich-Erzählerin spürbar



Anmerkungen zur Skizze links
  • Unterschieden werden drei Ebenen: Erzähler, Erzählung, Figuren
  • Beim Erzähler wird unterschieden zwischen dem bewusst auktorialen Erzählen (beim traditonellen Erzählen) und der unbewissten Variante (Ich-Erzählerin), d.h. die Ich-Erzählerin kommentiert natürlich auch, tut das aber nicht für den Leser.
  • Erzählung: Hier fallen Zeitbrüche auf, außerdem ist die Handlung nicht berechenbar, es gibt Sprünge, Überraschungen, Unklarheiten.
  • Bei den Figuren haben wir keine autonomen, sich bildenden, äußere Probleme bewältigende Helden, sondern solche eher negativer Art, die unklar sind, zerrissen, auch scheitern (die Ich-Erzählerin letztlich wohl eher als Stein mit vielleicht neuen "Möglichkeiten".
Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte
  1. Es gibt keinen auktorialen Erzähler, der über dem Geschehen steht und es gewissermaßen von außen den Leser heranträgt. Statt dessen haben wir nur eine fragmentarische und subjektiv-kommentierende Ich-Erzählerin.
  2. Es gibt keine strenge Kontinuität - es wird recht wirkungsvoll mit den Zeitebenen gespielt.
  3. Die Figuren sind keine autonomen Helden, die sich entwickeln und damit so eine Art Bildungsprozess durchlaufen. Vielmehr sind sie in sich widersprüchlich und stark von der Außenwelt bzw. der Gesellschaft abhängig. Das gilt aber mehr für die Ich-Erzählerin als für Stein. Auch wirken gesellschaftliche Gegebenheiten eher indirekt, vom Hintergrund her herein - etwa, dass die Clique sich ein solches Leben überhaupt leisten kann, was möglicherweise das Erwachsenwerden erschwert.
  4. Es geht weder um die Bewältigung äußerer Probleme durch einen in sich ruhenden Helden, sondern um das Innenleben der Figuren, das der Leser aber wiederum direkt nur von der Ich-Erzählerin präsentiert bekommt. Über Steins Innenleben wird er nur indirekt oder über körpersprachliche Hinweise informiert. Insgesamt ist modernes Erzählen stärker psychologisierend angelegt, aber nicht so, dass Gefühle und Entscheidungen berechenbar sind. Besonders in der Telefon- und Mitnahme-Szene am Anfang gibt es durchaus widersprüchliches, sprunghaftes Verhalten. Dies bedeutet auch, dass es weniger eine geschlossene, voraussehbare Handlung gibt.
  5. Alles in allem haben wir es eher mit negativen Helden zu tun. Das gilt zum Teil für Stein, dem es nicht gelingt, sein Projekt ausreichend zu kommunizieren und so dafür zu werben, andererseits zieht er irgendwann die Reißleine, was ihn ja sogar für die Autorin in dem Interview mit Matthias Prangel zu ihrem Helden macht, dem sie sogar eine Art Sieg zuspricht, weil er sich eben entscheidet und damit für neue Möglichkeiten öffnet.
    Was die Ich-Erzählerin angeht, so ist sie insofern eine "negative Heldin", weil sie aus ihrer drogenorientierten Passivität nicht herauskommt, was schlechte Zukunftsperspektiven eröffnet - ihr im Vergleich zu Steins "Möglichkeiten" und Projektaktivitäten möglicherweise sogar alle nimmt.

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