Judith Hermann, "Zigaretten" - Anmerkungen zu einer besonders vielschichtigen Kurzgeschichte
Die Geschichte ist u.a. zu finden in:
Quelle: Erfahrene Erfindungen. Deutschsprachige Kurzgeschichten seit 1989, ausgewählt und mit Materialien versehen von Sabine Grunow (Editionen für den Literaturunterricht), Ernst Klett Schulbuchverlag, Leipzig 2004, ISBN: 978-3-12-351010-6, S. 56-59
Als Zeitpunkt der Veröffentlichung ist das Jahr 2001 angegeben.
Die Kurzgeschichte beginnt damit, dass die IchErzählerin mitteilt, unter welchen Umständen sie eine kleine Geschichte gehört hat, die sie nicht wieder vergessen hat.
Sie hört sie in dem Moment, als sie von ihrem Partner wohl verlassen wird. Es ist zwar nur vom Verlassen der Wohnung die Rede, aber die Geschichte wird erzählt, wie wenn man schon "ganz woanders" ist. Es ist auch deutlich, dass er ein "Gespräch nicht mehr fortsetzen" will. Später ist davon die Rede, dass die Ich-Erzählerin danach "die Tür hinter ihm geschlossen" hat und dann "stehen geblieben" ist, "im dunklen Flur, bewegungslos, traurig und schwer und etwas war schlimm." Das spricht eher dafür, dass es sich hier um einen tiefergehenden Weggang handelt.
Es folgt ein Rückblick auf eine frühere Zeit ihres Partners, in der er eine Freundin namens Constanze gehabt hat, mit der er jetzt nicht mehr zusammen ist, wohl aber noch befreundet. Das scheint der Ich-Erzählerin Probleme zu bereiten, zumal diese Constanze ihren Partner bei Treffen zu dritt immer noch auf den Mund küsst und traurig ist.
In der Geschichte, die die Ich-Erzählerin so beeindruckt hat, geht es um ein Beisammensein ihres jetzigen Partners mit dieser Constanze an einem Nachmittag am Brunnen hinter dem Alexanderplatz, kurz bevor sie wegfahren muss, um ihre Eltern zu besuchen.
Später hat er sie dann zum Bahnhof gebracht, hat dort mit ihr noch eine Zigarette rauchen wollen, die hat er aber auf der Bank am Brunnen vergessen.
Nach ihrer Abfahrt ist er dann noch mal zu dieser Bank zurückgefahren und hat dort tatsächlich die Zigarettenschachtel gefunden, was er der Ich- Erzählerin später als "das schöne Ende dieser Geschichte". bezeichnet hat.
Die zweite Hälfte der Kurzgeschichte besteht dann aus Überlegungen der Ich Erzählerin zum einen zur Bedeutung dieser kleinen Geschichte, die offensichtlich für das Glück junger Verliebter steht, die noch all das Schwierige, was dann später kommt, noch nicht kennen.
Außerdem beschäftigt sich die Ich-Erzählerin intensiv mit ihrer eigenen Position innerhalb dieser Dreieckskonstellation, die zwar zeitlich nicht gleichzeitig stattfindet, sie aber trotzdem intensiv in Richtung Eifersucht beschäftigt.
Vor allem leidet sie darunter, dass es überhaupt eine Zeit im Leben ihres Partners gegeben hat, in der sie selbst noch keine Rolle gespielt hat.
Immer wieder eingestreut in die Kurzgeschichte sind assoziative Bemerkungen, in denen sie Elemente der Lebensgeschichte ihres Partners infragestellt und dessen ehemalige Geliebte in einem eher negativen Licht erscheinen lässt.
Am Ende wird rückblickend auf ein Gespräch mit ihrem Partner über dessen Geschichte an dieser Bank hinter dem Fernsehturm deutlich, worin ihre Bedeutung eigentlich besteht. "Dass die Zeit mit Constanze nämlich eine Zeit war, in der sie geschützt waren. Verschont. Unbewusst, unverletzt. Die andere Zeit, die Zeit der Verletzungen, der Trauer, des Verrates und der Müdigkeit, war noch nicht einmal vorstellbar." (59,23-27)
Nicht ganz klar ist, was damit gemeint ist, wenn es am Schluss heißt: "Er erzählte mir diese Geschichte im Fortgehen und er sah wirklich zufrieden dabei aus, so wie jemand, der etwas zu einem Ende bringt. 'Die Zigaretten waren tatsächlich noch da. Ich habe mir eine angezündet, das Päckchen in die Hosentasche gesteckt und bin nach Hause gefahren.'"
Vielleicht soll damit ausgedrückt werden, dass dieser Mann sich in schwierigen Situationen das Leben dadurch leichter macht, dass er sich auf das konzentriert, was ihm noch bleibt. Ein kleines Glück vermindert dann gewissermaßen den Schmerz eines größeren Unglücks. Bei der Geschichte mit Constanze ging es nur darum, eine kurzzeitige Trennung zu verkraften. In der Gegenwart der Geschichte geht es wohl um eine größere Trennung.
Insgesamt soll die Geschichte wohl zeigen,
wie jemand mit der Situation der Trennung von seinem Partner umgeht: Man verdrängt es halb: macht den Partner ein bisschen schlecht und die Konkurrentin noch schlechter. Vor allem aber bedauert man sich selbst,
was die besondere Situation in der Phase des Glücklichseins in der Beziehung bedeutet und wie sehr sie von späteren Entwicklungen bedroht ist,
Wie man sichEin größeres UnglückIn der BeziehungMit einem kleinen GlückErleichtern kann,Bei dem man sich auf einfache Genüsse des Alltags konzentriert.
Besonders beim letzten Punkt könnte die Frage auftauchen, ob es sich bei diesem kleinen Zigarettenglück um eine mehr oder weniger als wahr angenommene typisch männliche Reaktionsweise handelt, während die Ich-Erzählerin eher etwas präsentiert, was manche für frauentypisch halten. Es geht also um die Frage von Vorurteilen im Sinne von landläufigen Einstellungen.
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