Zur Klassik gehört auch, dass Goethe das Drama am Ende in eine strenge Versform übertrug, nämlich fünfhebige Jamben.
Prosafassung
„Heraus in eure Schatten, ewig rege Wipfel des heiligen Hains, hinein ins Heiligtum der Göttin, der ich diene, tret´ ich mit immer neuem Schauer und meine Seele gewöhnt sich nicht hierher!“VersfassungHeraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heil´gen, dicht belaubten Haines
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.
- Man merkt hier deutlich, dass die linke Fassung einem doch ziemlich „am Ohr vorbeirauscht“, während die Verfassung deutlich mehr Wirkung macht, sich besser einprägt.
- Aus der Prosafassung erhalten geblieben sind vielfältige Zeilensprünge, die längere Gedankengänge ermöglichen, so dass auch in diesem Sinne das Drama eher klassische Ansprüchen genügt, weil es eben Nachdenklichkeit zeigt und auch Nachdenklichkeit hervorruft beim Zuschauer.
- Der gleiche Effekt wird auch erreicht durch den vielfältigen Einsatz von Stichomythie, damit ist gemeint, dass ein Sprecher und ein gegen Sprecher einen engen Wortwechsel präsentieren.
- An vielen Stellen gibt es dann auch sentenzartige Formulierungen, also solche, die schon fast sprichwörtlichen Charakter haben beziehungsweise entwickeln. Beispiele:
„Du sprichst ein großes Wort gelassen aus.“
„Oder man spricht vergebens viel um zu versagen, der andere hört von allem nur das Nein.“
- Zur Klassik gehört auch der Anspruch, Themen und Positionen zu besetzen, die eine dauerhafte Bedeutung behalten.
- Hier waren die alten Griechen und viele nach ihnen der Meinung, am meisten Wirkung entfalte eine Tragödie, da sie die größte Erschütterung und auch Mitgefühl erzeuge, aus dem moralische Nachwirkungen entstehen können.
- Eine Tragödie ist „Iphigenie auf Tauris“ nun wirklich nicht, eine Komödie schon gar nicht, vielleicht eine besondere Art und Weise von Lehrstück. Nicht von ungefähr wird Iphigenie häufig mit Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ verglichen. Hintergrund bei Goethe ist: Er mochte keine Tragik – um den Tod machte er einen großen Bogen.
- Damit steht dann die Frage im Raum: Woher kann die gewünschte Wirkung kommen, wenn nicht aus einem tragischen Ende. Bei Brecht sind es die Verhältnisse, die kritisiert werden, besonders das Tigerlied der jungen Mutter, die nicht möchte, dass ihr Neugeborenes in genauso schlechten Verhältnissen lebt wie sie selbst. Aber bei Goethe? Es ist doch ein sehr innerlicher Konflikt, der da ausgetragen wird. Es gibt da eigentlich keine böse Welt – außer der der Götter, die immerhin eine Art Sippenhaft verhängt haben – und der entgeht die Familie zumindest mit und seit Iphigenie.
- Letztlich ist es die Frage der Entscheidung zwischen Pflicht (zur Wahrheit) und Neigung (Erfüllung der eigenen Wünsche) – und dieser Konflikt besteht immer, ganz gleich, ob man zu den Reichen oder zu den Armen gehört.
- Dazu kommt die implizite Botschaft, dass Wahrhaftigkeit am Ende belohnt wird. Ob dieser verteufelt humane“ Ansatz stimmt, kann – wie oben schon angedeutet zumindest diskutiert werden.
- Auf jeden Fall braucht die Menschheit wohl Brecht und die von ihm geforderte Veränderung der Gesellschaft, aber eben auch Goethe und seine Iphigenie und damit die Veränderung des Menschen.
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