Deutsche Literaturgeschichte ab dem Expressionismus
Deutsche Literaturgeschichte nach dem Expressionismus
Bis zum Expressionismus, d.h. der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges, gibt es noch mehr oder weniger dominierende Strömungen, die dann auch eine ganze Epoche kennzeichnen können.
Da mag es neben der Aufklärung auch noch die Empfindsamkeit geben - aber beides sind eben sehr deutliche Strömungen, die gewissermaßen dialektisch ineinander verhakt sind.
Das ändert sich mit dem Ersten Weltkrieg. Denn mit seinem Ende ist für den Expressionismus, die letzte dominierende Epoche, ein Hauptfeind verloren gegangen, nämlich das Kaiserreich. Die Expressionisten machen zwar weiter, sehen sich aber neuen Strömungen gegenüber, die ihnen den Vorrang streitig machen.
Aber dann gibt es keine klaren Epochenbezeichnungen mehr, wie das folgende Schaubild deutlich macht, das wir weiter unten noch genauer vorstellen und vor allem erläutern. Es orientiert sich an der Darstellung von Eberhard Hermes, Abiturwissen Deutsche Literatur. Epochen, Werke, Autoren, Ernst Klett Verlag: 4. Auflage, Stuttgart 1997, S. 187/8 und entwickelt die dort präsentierten Ansätze weiter.
Anmerkungen zu diesem Schaubild:
Zunächst einmal wird deutlich, wie wichtig der Erste Weltkrieg und die mit ihm verbundene Veränderung der politischen Situation in Deutschland war. Der bis 1918 starke Kaiserstaat war gewissermaßen für die Expressionisten ein "gefundenes Fressen", an dem sie sich reiben konnten. Ein gemeinsamer Gegner schafft immer auch Gemeinschaft.
Nach 1918 gibt es den Expressionismus weiter, aber er bekommt Konkurrenz. In diesem Schaubild wird exemplarisch der Dadaismus genannt. Beispiele findet man zum Beispiel hier.
Das Besondere war die Gegnerschaft zum Expressionismus: Das große Vorbild wollte man pardodieren, in dem man noch extremer Elemente der Wirklichkeit zusammenmontierte, die jetzt überhaupt nicht mehr passten.
Noch ein Hinweis: Ein noch weitergehendes Schaubild, das bis in die Gegenwart des Jahres 2018 reicht, findet sich weiter unten.
Ein schönes Beispiel, das die Anlehnung und zugleich die Abwendung vom Expressionismus zeigt, ist das Gedicht "Ein und kein Frühlingsgedicht" von Hugo Ball.
Hugo Ball
Ein und kein Frühlingsgedicht
01 Ein Doppeldecker steigt aus jeder Flasche 02 Und stößt sich heulend seinen Kopf kaputt. 03 Der Übermensch verzehrt die Paprikagoulasche, 04 Zerbröselnd Semmeln, rülpsend in den Kälberschutt. 05 Den Gästen hängt der Kiefer bis zur Treppe, 06 Dort hinterlist'ge Fallen tätlich legend. 07 Aus dem Aburte schlitzt Lolô die Tangoschneppe, 08 Verpestend mit dem Lockendampf die Absinthgegend. 09 Denn siehe, ich bin bei euch alle Tage 10 Und meine schmettergelbe Lusttrompete packt euch an. 11 Der umgekippten Erektionen Frühlingsklage 12 Buhlt veilchenblau im Bidet mit dem Schwan(n).#
Interessant ist der Ansatz, einfach nur anders sein zu wollen - ganz gleich wie. Am Anfang steht also nicht die Idee oder eine inhaltlich bestimmte Notwendigkeit, sondern man will nur auffallen.
Das ist etwas Neues - die Dichter stehen nicht nur in Konkurrenz zueinander, sondern müssen sich auch gegen Konkurrenz auf einem erweiterten Markt der Fiktion durchsetzen, etwa gegenüber dem Film.
Was tut nun die Literaturwissenschaft:
Eine Möglichkeit haben die beiden Frenzels in ihren vielfach aufgelegten "Daten deutscher Dichtung" entwickelt, die versuchen verschiedene Strömungen irgendwie zusammenfassend zu beschreiben.
Eine andere Möglichkeit besteht in der Orientierung an historischen Epochen.
Gemeinsam ist aber allen in der Literaturwissenschaft, dass die Strömungen zwischen 1890 und 1914 die Voraussetzungen für alles geschaffen haben, was danach kam - es gibt also eine in sich zusammenhängende "Moderne."
Von 1945 bis 2018ff
Anmerkungen zu dem Schaubild:
Alles beginnt für die deutsche Literatur nach 1945 mit der Katastrophe der zurückliegenden 6 bzw. 12 Jahre: Weltkrieg und Nazi-Diktatur mit dem Massenmord an den Juden.
Daraus entsteht in Westdeutschland das Bemühen, dem Kahlschlag zu begegnen, mit den Trümmern fertig zu werden, aber auch eine Art "Stunde Null" als Chance zu begreifen.
In Ostdeutschland macht man es sich leichter, indem man sich deutlich vom Faschismus abgrenzt, damit aber zugleich den Aufbau einer neuen,. angeblich besseren Diktatur legitimiert. Ein Beispiel für die Hoffnungen auf einen Neubeginn in einem sozialistischem Gemeinwesen stellt zum Beispiel Hermann Kants Roman "Die Aula" dar. Dort geht es um die Bemühungen, in einer "Arbeiter- und Bauern-Fakultät" auch unterprivilegierten Schichten Bildung und Aufstieg zu ermöglichen.
Im "Sozialistischen Realismus" geht es um eine Sicht der Wirklichkeit, die der kommunistischen Weltanschauung entspricht - und zu der gehört auch die Schaffung eines neuen Menschen, wozu man in der Literatur vor allem positive Helden braucht.
Die durchaus positive Sicht von Teilen der Bevölkerung auf die DDR und ihre Aufbauleistung nach dem Krieg (unter schwierigeren Bedingungen als im Marshall-Plan-Wirtschaftswunderland Westdeutschland) erfährt einmal 1953 durch die Niederschlagung des Arbeiteraufstandes ihre Grenzen, dann durch den Mauerbau 1961 und 1976 durch die Ausbürgerung des durchaus kommunistischen, aber nicht linientreuen Kommunisten Wolf Biermann.
In Westdeutschland gibt es dank der Politik der Westintegration Adenauers nicht nur den Wiedergewinn weitgehender Souveränität, sondern auch den Anschluss an die Weltliteratur. Von besonderer Bedeutung sind:
Wolfgang Koeppen, "Tauben im Gras", 1951: Kritische Beschreibung der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte und der Sorge vor einem neuen Krieg
Martin Walser, "Ehen in Philippsburg", 1957: Satirisch wird hier die deutsche Nachkriegsgesellschaft porträtiert.
Günter Grass: "Die Blechtrommel", 1959: Beschreibung von fünf Jahrzehnten deutscher Geschichte aus der Sicht eines jungen Menschen, der mit drei Jahren beschließt, nicht mehr zu wachsen, dafür aber alles auf ganz eigene Weise wahrnimmt.
Uwe Johnson, "Mutmaßungen über Jakob", 1959: Schilderung der Probleme im geteilten Deutschland
Heinrich Böll, "Ansichten eines Clowns", 1963: Auseinandersetzung mit dem Erbe des Nationalsozialismus und der fehlenden kritischen Verarbeitung. Dazu auch Kritik an der katholischen Kirche, die auf ihre Art und Weise das Denken der Gläubigen bestimmt und ihren Gehorsam verlangt.
Siegfried Lenz, "Deutschstunde", 1968: Rückblick auf den Umgang des Nationalsozialismus mit nicht gewünschter Kunst
Von der Schweiz aus in den deutschsprachigen Raum hineinwirkend: Friedrich Dürrenmatt: "Der Besuch der alten Dame", 1956: Einfluss des Kapitalismus auf Gesinnung und Moral der Menschen
Max Frisch, "Homo faber", 1957: : Kritik der Technikorientierung der Menschheit
und von Österreich aus Ingeborg Bachmann: "Die gestundete Zeit", 1953 (Literaturpreis der Gruppe 47): Skeptische Sicht auf die Situation des Menschen: "Es kommen härtere Tage"
1945 bedeutete neben Zerstörung, Tod, Hunger (deshalb auch: "Trümmerliteratur", Vgl. "Nachts schlafen die Ratten doch") und Konfrontation mit den Verbrechen der NS-Diktatur auch ein großes Problem für die Literatur in Deutschland.
Vorher hatte es neben der NS-Literatur nur Emigrationsliteratur (zum Beispiel Bertolt Brecht) und die sogenannte "Innere Emigration" (z.B. Werner Bergengruen) gegeben. Bergengruen, "Die Unsichtbaren" (1935): "Rüste abendlich die Schale / Schütte Milch und brocke Brot / Dem geheimen Volk zum Mahle. / Geht es, ist die Hausung tot." (Echtermeyer von Wiese, S. 637/8)
Junge Autoren wie Borchert oder Böll wollten einen Neuanfang, eine "Stunde Null" und waren auch zu einem "Kahlschlag" bereit, was vor allem das Wegräumen der NS-Sprache bedeutete.
In erster Linie ging es jetzt erst mal - relativ unpolitisch - um das Leben der einfachen Menschen nach dem Krieg, auch um eine gewisse Bestandsaufnahme (vgl. Eich, "Inventur").
Berühmt ist das Drama "Draußen vor der Tür" von Wolfgang Borchert, das das Nicht-ankommen -Können bzw. das Nicht-angenommen-Werden eines Soldatenheimkehrers auf die Bühne bringt.
Typisch für die Literatur besonders der Kurzgeschichten (z.B. "Das Brot") ist eine gewisse Knappheit in der Form.
Viele Autoren trafen sich in der sog. "Gruppe 47", die regelmäßig gemeinsame Lesungen veranstaltete und damit kollegialen Austausch unter Schriftstellern ermöglichte.
Anfang der 50er Jahre wurde diese erste Phase der westdeutschen Literatur abgelöst durch anspruchsvollere Literatur (Günter Grass, Wolfgang Koeppen u.a.) Ein Beispiel aus der Lyrik ist etwa "Die gestundete Zeit" von Ingeborg Bachmann.
Kurz-Info: Das Besondere an der Literatur der frühen DDR-Jahre
Die Literatur in der DDR stand von Anfang an unter den Vorgaben der "Parteilichkeit". D.h. Anerkannt war nur eine Literatur, die den Prinzipien des Kommunismus entsprach, wie er aus der Sowjetunion Stalins importiert wurde.
Ziel war der sog. "Sozialistische Realismus", der die Wirklichkeit zeigen sollte - vor allem der Arbeiter und Bauern, aber eben mit einer Tendenz, durchaus auch Probleme, aber im wesentlichen die Vorteile und Chancen einer sozialistischen Gesellschaft zu zeigen (50er Jahre: "Aufbauliteratur")
Man spricht in den 60er Jahren auch von "Ankunftliteratur", weil es darum ging, das Erscheinen eines neuen Menschen zu zeigen. Im Kommunismus geht man davon aus, dass der Mensch von Natur aus gut ist, nur durch die Verhältnisse schlecht gemacht werden kann. Deshalb müssen die Verhältnisse zum Beispiel ohne Ausbeutung gestaltet werden - und noch vorhandene Reste alten Denkens müssen durch politische Erziehung beseitigt werden.
Eine große Rolle spielten literarische Emigranten wie zum Beispiel Bertolt Brecht, der sich zum Teil durchaus kritisch äußerte, etwa zur Niederschlagung des Volksaufstandes in der DDR 1953 mit dem berühmten Gedicht-Satz: "Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?"
In den 70er Jahren gab es dann durch den Übergang von Ulbricht zu Honecker eine gewisse Liberalisierung, man ließ "subjektive Authenzität" zu - wie sie etwa bei Christa Wolf zu finden war. Die Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann im Jahre 1976 verhärtete die Fronten zwischen kritischen Schriftstellern und der Staats- und Parteiführung.
Ab den 80er Jahren gab es dann zunehmend auch eine Art Untergrundliteratur. Viele Autoren versuchten sich auch in einer Neuauflage der "inneren Emigration", indem sie vorwiegend über unverfängliche, private Dinge schrieben.