Neuer Text

"Steppenwolf" als Lese-Erlebnis


Hesse, "Steppenwolf": Kann das Lesen eines solchen Romans heute noch "Spaß machen"?

Unsere Idee vom "Lese-Erlebnis" - wie eine Urlaubsreise in ein fremdes Land - manchmal sogar der Beginn einer "wunderbaren Freundschaft"

Das Problem des Deutschunterrichts - oder die Schwierigkeiten von "Zwangsfreundschaften"
Das mit dem Bücherlesen ist so eine Sache - und in der Schule wird es besonders schwierig: Das beginnt mit dem "Lesen-Müssen" - dann "muss" auch noch darüber gesprochen werden - und meistens geht es dabei um Themen, die erst mal sehr fremd klingen: "Figurenkonstellation" - "Erzählhaltung" usw.
Dazu kommt häufig auch erst mal eine ziemlich große "Fremdheit" des Textes - und sich mit ihm "anfreunden" müssen - das ist auch so eine Sache. Zwangsfreundschaft - das funktioniert wohl eher nicht.

Die wunderbare Erfahrung der "Entfaltung" des Fremden
Manche machen aber auch die Erfahrung, dass Bücher, die in der Schule gelesen werden, sich auch "entfalten" können. Wenn man einmal in sie tiefer hineingeschaut hat, kann man sich wie in einem fremden Land fühlen, das man dann "erkundet" und immer besser versteht.

Auch ein Weg: An einen Roman mit Hilfe von außen herangehen
Zu Hermann Hesses "'Steppenwolf" gibt es den Youtube-Film eines Lehrers, der offen zugibt, dass er den Roman am Anfang abschreckend fand, nichts damit anfangen konnte.
Er hat sich dann mit der Biografie des Verfassers beschäftigt und außerdem mit Psychologie - und so für sich einen Weg gefunden, mit dem Roman zumindest ein bisschen "Freund" zu werden.
Uns hat das Video sehr gefallen - es ist hier zu finden:
https://youtu.be/PUI0Pr2SHX4

Unser Weg des "Eigensinns" - ganz im Sinne Hesses
Wir möchten aber einen anderen Weg wählen, den Hesse wohl auch gut gefunden hätte, nämlich den des "Eigensinns". Damit ist gemeint, dass man sich selbst einen Weg zum Ziel sucht. Im Gebirge und im Wattenmeer ist das nicht ungefährlich - bei Büchern aber ist das ganz ungefährlich. Man muss nur die ersten negativen Gefühle etwas beiseiteschieben und auf interessante Dinge achten.

Die beiden Alternativen beim Urlaub in fremden Ländern
Denn auch für das Lesen gilt, was jeder aus dem Urlaub in einem fremden Land kennt: Man kann einmal kurz aus dem Hotel rausschauen, die Nase rümpfen und dann nur noch zwischen Bar und Pool wechseln - oder aber man geht raus, nimmt alles auf - und konzentriert sich auf die Dinge, die einen besonders "interessieren" - in die man ein bisschen (mehr) "einsteigen" möchte.

Das Märchen von den "ersten 30 Sekunden"
Die meisten kennen die angebliche Wahrheit, dass die ersten 30 Sekunden einer Begegnung ausschlaggebend sind für das Verhältnis von Personen.
Natürlich ist da etwas dran, dass der erste Eindruck wichtig ist - schließlich sind wir alle Überlebende, d.h. unsere Vorväter und Vormütter mussten blitzschnell entscheiden, wenn jemand plötzlich vor ihnen auftauchte.

Aber wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass dieser erste Eindruck immer dann, wenn es nicht um Leben und Tod ging, sich später weiterentwickelte - und nicht immer in die gleiche Richtung.
Jeder, der sich jemals verliebt hat, weiß davon ein Lied zu singen.
Sehr schön ist auch die Szene in "Schlaflos in Seattle", wo ein Familienvater nach dem Tod seiner Frau gedrängt wird, sich doch nach neuen Ehefrauen umzusehen - und er macht das auch. Wir sehen dann eine Frau, die rein äußerlich beeindruckt - bis sie dann das erste Mal hektisch zu lachen anfängt. Und das nicht in den ersten 30 Sekunden, sondern bei "passender" Gelegenheit.

Dementsprechend möchten wir auch dafür werben, einer Lektüre im Deutschunterricht eine gewisse Chance zu geben, sich auch positiv zu präsentieren.
Dabei können dann auch schöne "Lese-Erlebnisse" entstehen - und je mehr es davon gibt, desto mehr erträgt man auch den Rest.

Praktischer Hinweis:
Wir gehen den Roman einmal so durch und konzentrieren uns auf das "Interessante".
Da wird wahrscheinlich viel zusammenkommen.
Deshalb werden wir anschließend unsere "Lese-Erlebnisse" noch einmal prüfen und dann die schönsten bzw. wichtigsten zusammenstellen.

Vorbemerkung zu den Seitenzahlen:

Wir verwenden das E-Book (Zahlen mit E), weil man dort leicht nach Textstellen suchen kann.
Wer die Taschenbuchausgabe verwendet, kann diese Textstellen bei sich leicht finden, wenn er die folgende Umrechnungstabelle verwendet.
Diese Tabelle ist zu finden auf der Seite:

Zu den Seitenzahlen

Unsere Seitenzahlen (mit E) beziehen sich auf die E-Book-Ausgabe. Sie hat für uns den Vorteil, schnell Textstellen zu finden.
Wer die Taschenbuchausgabe nutzt (T), kann auf der folgenden Seite eine Umrechnungstabelle finden:
https://www.schnell-durchblicken2.de/steppenwolf-zitate
Seiten-Umrechnungstabelle herunterladen

Vorwort des Herausgebers

  • Der Neffe einer Frau, die eine Wohnung vermietet, präsentiert uns zunächst seine Erfahrungen mit dem Mieter, der sich selbst als "Steppenwolf" bezeichnet (vgl. E4), und bereitet uns auf die angeblich in der Wohnung zurückgelassenen Aufzeichnungen dieses Mannes vor.
  • Er hat von ihm einen "sonderbaren und sehr zwiespältigen Eindruck" (E = E-Book, S. 4).
  • Allerdings macht er auch Eindruck mit einem eher ungewöhnlichen Verhalten, so sind seine ersten Worte beim Betreten des Hauses: "O, hier riecht es gut." (E5)
  • Später erklärt die Tante, was damit gemeint ist: "Es riecht hier bei uns nach Sauberkeit und Ordnung und nach einem freundlichen und anständigen Leben, und das hat ihm gefallen. Er sieht aus, wie wenn er daran nicht mehr gewohnt wäre und es entbehrt hätte." (E7)
  • Insgesamt stellt der Herausgeber rückblickend fest: "Im Innern aber, in der Seele, hat dieser Mann uns beide, die Tante und mich, doch sehr viel gestört und belästigt, und offen gesagt, bin ich noch lange nicht mit ihm fertig. Ich träume nachts manchmal von ihm und fühle mich durch ihn, durch die bloße Existenz eines solchen Wesens, im Grunde gestört und beunruhigt, obwohl er mir geradezu lieb geworden ist." (E7/8)

  • Wir hoffen, dass an diesem Beispiel schon deutlich geworden ist, was wir unter "Lese-Erlebnis" verstehen, nämlich Elemente des Textes, die einen berühren, die einem was sagen, über die man gerne nachdenkt.
  • Damit kann man einen Lehrer auch mehr beeindrucken, als wenn man nur kurz den Inhalt wiedergibt.
  • Noch mehr wird er überrascht sein, wenn man mit seinem "Lese-Erlebnis" auch noch was für den Unterricht macht. Denn manchmal ist Deutschunterricht  nur eine Art "Abklatsch" der Germanistik, also der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Literatur.
  • In der Schule aber kommt es darauf an,
    - zum einen Verständnis für Literatur zu wecken
    - und zum anderen damit auch was zu machen.
  • In diesem Falle könnte man zum Beispiel fragen:
    • Kennen wir auch Menschen, die einen "sonderbaren und zwiespältigen Eindruck" machen?
    • Kennen wir auch bestimmte "Gerüche", die uns gleich ein Gefühl geben, uns wohl zu fühlen. Dabei geht es nicht um wirkliche Gerüche, sondern wie in diesem Falle um eine Art Atmosphäre. Das wird natürlich bei verschiedenen Menschen unterschiedlich sein. Der eine mag es ruhiger, der andere intensiver, vielleicht auch abenteuerlicher.
      Warum fühlen sich manche Menschen im Wald oder in den Bergen besonders wohl?
      Warum andere mitten in der Großstadt in einem originellen Café mit vielen Menschen?
      Warum wieder andere, wo es sehr abenteuerlich wird - etwa bei einem Tandem-Fallschirmsprung oder in einem Wildwasser-Canyon?
    • Welche Bedeutung hat Ordnung für einen Menschen - womit nicht in erster Linie ein aufgeräumtes Zimmer gemeint ist, sondern ein Umfeld, in dem alles am richtigen Platz zu sein scheint und Ruhe und Sicherheit ausstrahlt.
    • Ab wann wird es aber auch problematisch oder gar gefährlich, wenn zu viel "Ordnung'" in diesem Sinne im Spiel ist?

R24-37 - T33-53: Der Steppenwolf zwischen dem "normalen" Leben und der "Gottesspur"

  • Einstieg in Hallers "Aufzeichnungen"
    Harry Hallers "Aufzeichnungen" beginnen auf E24 und tragen  die "schöne" Überschrift: "Nur für Verrückte". Gemeint sind damit Menschen, die auf eigene Art und Weise aus der scheinbar selbstverständlichen bürgerlichen Welt heraustreten, eben "ver-rückt" sind, neben der normalen Spur.

  • Die Zufriedenheit als Zustand, der nicht lange ausgehalten werden kann
    E25 - T35: "Es ist eine schöne Sache um die Zufriedenheit um die Schmerzlosigkeit, um diese erträglichen geduckten Tage, wo weder Schmerz noch Lust zu schreien wagt, wo alles nur flüstert und auf Zehen schleicht. Nur steht es mit mir leider so, daß ich gerade diese Zufriedenheit gar nicht gut vertrage, daß sie mir nach kurzer Dauer unausstehlich verhaßt und ekelhaft wird und ich mich verzweiflungsvoll in andre Temperaturen flüchten muß, womöglich auf dem Wege der Lustgefühle, nötigenfalls aber auch auf dem Wege der Schmerzen. "
    • Gegenübergestellt werden hier die schönen Tage im Leben und das Gegengefühl, das sich im Laufe der Zeit ergibt.
    • Ein bisschen erinnert das an Goethe:
      "Alles in der Welt läßt sich ertragen,
      Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen."
      https://www.aphorismen.de/zitat/372
    • Dabei werden zwei Aus-Wege gesehen, zum einen "Lustgefühle", zum anderen "Schmerzen".

  • Wilde Begierden mit viel Zerstörungspotenzial
    E25 - T35/6: "Es brennt alsdann in mir eine wilde Begierde nach starken Gefühlen, nach Sensationen, eine Wut auf dies abgetönte, flache, nor- mierte und sterilisierte Leben und eine rasende Lust, irgend etwas kaputtzuschlagen, etwa ein Warenhaus oder eine Kathedrale oder mich selbst, verwegene Dummheiten zu begehen, ein paar verehrten Götzen die Perücken abzureißen, ein paar rebellische Schulbuben mit der ersehnten Fahrkarte nach Hamburg auszurüsten, ein kleines Mädchen zu verführen oder einigen Vertretern der bürgerlichen Weltordnung das Gesicht ins Genick zu drehen. Denn dies haßte, verabscheute und verfluchte ich von allem doch am innigsten: diese Zufriedenheit, diese Gesundheit, Behaglichkeit, diesen gepflegten Optimismus des Bürgers, diese fette gedeihliche Zucht des Mittelmäßigen, Normalen ..."
    • Hier beschreibt Harry Haller die "wilde Begierde", die nach zu viel Normalität bei ihm entsteht.
    • Die Details sind dabei äußerst grenzwertig, wenn man etwa denkt an: "ein kleines Mädchen zu verführen". Man merkt hier deutlich, dass das zumindest an dieser Stelle weit über heutige Moralvorstellungen hinausgeht. Ähnliches gilt natürlich für die Mordvorstellung: "einigen Vertretern der bürgerlichen Weltordnung das Gesicht ins Genick zu drehen".
    • Hier taucht dann die mögliche Diskussionsfrage auf, inwieweit ein solcher Roman, der dieses Verhalten ja als gewissermaßen normale Kehrseite außergewöhnlicher Menschen darstellt, eine geeignete Schullektüre darstellt.
    • Spannend ist sicher, wie Deutschlehrer diese Frage beantworten.
    • Diskussionswürdig sicher auch die Schlussformulierung, wo "Gesundheit, Behaglichkeit" und "Optimismus" als "fette gedeihliche Zucht des Mittelmäßigen" bezeichnet werden.

  • "Problematik des Menschseits"  - "Sehnsucht nach einer neuen Sinngebung"
    E26 /37: Hier spricht der Steppenwolf "von der Not der Einsamen, von der Problematik des Menschseins, von der Sehnsucht nach einer neuen Sinngebung für das sinnlos gewordene Menschenleben."
    • Hier könnte man fragen, wieso das Menschenleben "sinnlos" geworden ist oder so empfunden werden kann.
    • Dann kommt natürlich die Frage, wie eine neue Sinngebung aussehen könnte.
    • Viele Schüler sehen im Sommer 2019 zumindest einen Sinn ihres Lebens darin, das Klima zu retten. So wichtig das ist, reicht es zum Beispiel aus, um dem menschlichen Leben wieder Sinn zu geben?

  • Stunden positiver Erschütterung
    Ab S. E28 / T39 geht der Steppenwolf selbst auf positive Ausnahme-Situationen in seinem Leben ein: "es gab zuweilen, selten, auch andere Stunden, die brachten Erschütterungen, brachten Geschenke, rissen Wände ein und brachten mich Verirrten wieder zurück ans lebendige Herz der Welt." Und etwas weiter unten sieht er in solchen Momenten eine "goldene göttliche  Spur durch mein Leben".
    Es werden dann Beispiele aufgeführt: ein Konzert, Lektüre eines Dichters.
    • Hier kann man sicherlich mal nachfragen, inwiefern auch junge Menschen schon solche Momente erleben, in denen sie ähnliche Gefühle haben, auch man darin nicht gleich eine "göttliche" Spur sehen muss.

  • Die Dichtung als einzige Welt, in der das Verrückte akzeptiert wird
    E29: "Und was hingegen mir in meinen seltenen Freudenstunden geschieht, was für mich Wonne, Erlebnis, Ekstase und Erhebung ist, das kennt und sucht und liebt die Welt höchstens in Dichtungen, im Leben findet sie es verrückt."
    • Hier wiederum taucht die Frage auf, inwieweit die Literatur wirklich so etwas bereitstellt - besonders natürlich erst mal im Deutschunterricht, dann aber auch in eigener Lektüre, auf jeden Fall in der Welt der Fantasie.
    • Oder gibt es das für junge Menschen nicht eher im Film und besonders in der Musik? Auf jeden Fall lohnt es sich, darüber nachzudenken.

  • Entdeckung des noch verschlossenen Eingangs zu einem "Magischen Theater"
    E30/31 - T42ff: Etwas später entdeckt der Steppenwolf dann auf einem Spaziergang den - noch verschlossenen - Eingang zu einem "Magischen Theater", "Eintritt nicht für jedermann" - und kurz darauf sieht er diesen Moment im Zusammenhang mit dem "Gleichnis von der golden aufleuchtenden Spur."

  • Erholung in einer Kneipe - Erinnerung an eine Melodie und dann an tausend Bilder
    Etwas später besucht er eine Kneipe, wo er die Leute beobachtet und etwas isst. Dabei fällt ihm (E32 - T46) die "vergessene Melodie jenes Bläserpiano wieder ein" und er fragt sich: "Wenn es möglich gewesen war, daß diese himmlische kleine Melodie heimlich in meiner Seele wurzelte und eines Tages in mir ihre holde Blume wieder mit allen lieben Farben emportrieb, konnte ich da ganz verloren sein? War ich auch ein verirrtes Tier, das seine Umwelt nicht begriff, so war doch ein Sinn in meinen törichten Leben, etwas in mir gab Antwort, war Empfänger für Anrufe aus fernen hohen Welten, in meinem Gehirn waren tausend Bilder gestapelt" - und dann wird einiges aufgeführt, was ihn beeindruckt hatte und weiter in ihm lebte.
    • Auch hier lohnt es sich darüber nachzudenken, welche Momente des eigenen Lebens einem wie ein Anruf "aus fernen hohen Welten" vorkommt, einen gewissermaßen nach oben reißt, aus dem Alltagstrott heraus.

  • Positive Folgen des Moments
    E34 - T47/8: Kurz darauf wird deutlich, wie sehr ihn dieser kurze Moment aufgebaut hat:
    "Ich brauchte keinen Wein mehr. Die goldene Spur war aufgeblitzt, ich war ans Ewige erinnert, an Mozart, an die Sterne. Ich konnte wieder für eine Stunde atmen, konnte leben, durfte dasein, brauchte nicht Qualen zu leiden, mich nicht zu fürchten, mich nicht zu schämen."
    Zum vollkommenen Glück fehlt jetzt nur noch ein Freund, mit dem er das Erlebnis teilen könnte.

  • Statt des Tores zum Magischen Theater ein Plakatstangenträger, der ihm den "Traktat vom Steppenwolf" gibt
    E36 - T50ff: Schließlich kommt er wieder an der Stelle vorbei, an der er das Tor zum "Magischen Theater" entdeckt hat, aber jetzt ist nichts mehr da. Dafür trifft er aber einen Plakatstangenträger, der anscheinend etwas mit dem Theater zu tun hat, ihm aber nur widerwillig ein Buch überlässt. Zu seiner großen Überraschung liest er zu Hause auf dem Umschlag den Titel "Traktat vom Steppenwolf. Nicht für jedermann." Anschließend liest er das "mit stets wachsender Spannung in einem Zuge".

E38-64 - T54-86: "Tractat vom Steppenwolf"

  • Es ist schon ein erstaunlicher Trick, den Hesse hier anwendet: Er schiebt in die Aufzeichnungen des "Steppenwolfs" eine Art Interpretation von außen ein.
  • E42 - T55/56: Zunächst einmal wird Harrys Selbstverständnis als eine Kombination aus Mensch und Steppenwolf vorgestellt.
    Das Besondere bei ihm ist: "in ihm liefen Mensch und Wolf nicht nebeneinander her", sondern sie liegen "in ständiger Todfeindschaft gegeneinander" und betrachten sich "stets zuschauend, urteilend und richtend".
  • E43: Interessant sind die Auswirkungen dieser Doppelexistenz auf andere: Er macht sie nämlich "unglücklich" - und zwar: "wenn er sie liebte und sie ihn." Dabei wird nämlich jeweils nur eine Seite von ihm gesehen,'
    "Manche liebten ihn als einen feinen, klugen und eigenartigen Menschen und waren dann entsetzt, wenn sie plötzlich den Wolf in ihm entdecken mußten."
    "Es gab aber auch solche, die gerade den Wolf in ihm liebten, gerade das Freie, Wilde, Unzähmbare, Gefährliche und Starke" und die sind enttäuscht, "wenn plötzlich der wilde böse Wolf auch noch ein Mensch war, ach noch Sehnsucht nach Güte und Zärtlichkeit in sich hatte ..."
    "Harry wollte, wie jedes Wesen, als Ganzes geliebt werden".
    • Hierüber lässt sich wirklich gut nachdenken und diskutieren: Wieviel von einem Menschen wird wahrgenommen, wenn man sich näher mit ihm beschäftigt?
    • Wie geht man mit dem um, was einem nicht gefällt?
    • Aus wievielen Teilen besteht ein Mensch eigentlich? Im "Tractat" ist ja von mehr als einer nur zweifachen Natur die Rede.
    • Um 1900 begann ja die Vorstellung, dass das "Ich" des Menschen nicht so festgefügt ist, wie man es bis dahin dachte.
  • E45 - T58/59:
    "Es gibt ziemlich viele Menschen von ähnlicher Art, wie Harry einer war, viele Künstler namentlich gehören dieser Art an. Diese Menschen haben alle zwei Seelen, zwei Wesen in sich, in ihnen ist Göttliches und Teuflisches, ist mütterliches und väterliches Blut, ist Glücksfähigkeit und Leidensfähigkeit ebenso feindlich und verworren neben- und ineinander vorhanden, wie Wolf und Mensch in Harry es waren. Und diese Menschen, deren Leben ein sehr unruhiges ist, erleben zuweilen in ihren seltenen Glücksaugenblicken so Starkes und unnennbar Schönes, der Schaum des Augenblicks glückes spritzt zuweilen so hoch und blendend über das Meer des Leides hinaus, daß dies kurze aufleuchtende Glück ausstrahlend auch andere berührt und bezaubert. So entstehen, als kostbarer flüchtiger Glücksschaum über dem Meer des Leides, alle jene Kunstwerke, in welchen ein einzelner leidender Mensch sich für eine Stunde so hoch über sein eigenes Schicksal erhob, daß sein Glück wie ein Stern strahlt und allen denen, die es sehen, wie etwas Ewiges und wie ihr eigener Glückstraum erscheint."
    • Vielleicht sollt man einfach mal die Kunstlehrer an der Schule fragen, inwieweit "Göttliches" und "Teuflisches" im Sinne des Romans in Künstlern steckt.
    • Und dann lohnt es sich sicher, mal darüber nachzudenken, was mit "kostbarer flüchtiger Glücksschaum über dem Meer des Leidesd" gemeint sein könnte. Die meisten Schüler werden zumindest im Bereich der Musik etwas nennen können, was für sie diese Qualität hat.
  • E45 - T59/60:
    "Unter den Menschen dieser Art ist der gefährliche und schreckliche Gedanke entstanden, daß vielleicht das ganze Menschenleben nur ein arger Irrtum, eine heftige und mißglückte Fehlgeburt der Urmutter, ein wilder und grausig fehlgeschlagener Versuch der Natur sei. Unter ihnen ist aber auch der andere Gedanke entstanden, daß der Mensch vielleicht nicht bloß ein halbwegs vernünftiges Tier, sondern ein Götterkind und zur Unsterblichkeit bestimmt sei."
    • Diese zwei Auffassungen vom menschlichen Leben sollte man sich mal klarmachen.
    • In welchen Situationen könnte man zu dem Gedanken mit dem "fehlgeschlagenen Versuch der Natur" kommen?
    • Und wie sieht es mit dem Menschen als "Götterkind" und "zur Unsterblichkeit bestimmt" aus?

E103 - T140/141: Hermine - oder: Was der Mensch wirklich braucht, ist ein "Spiegel"

Während die junge Frau, die Haller im Wirtshaus "Zum schwarzen Adler" (E82) kennenlernt, sich gleich nach seinem Namen erkundigt, vergisst er, nun auch nach ihrem zu fragen.
Erst bei einer zweiten Begegnung (E101) fällt ihm ihre Ähnlichkeit mit einem Jugendfreund namens Hermann auf und deshalb kommt er von selbst auf ihren Namen:

"Heißt du Hermine? Sie nickte strahlend, froh über mein Erraten. [...] Zwischenein fragte ich sie: Wie hast du das gemacht, daß du plötzlich wie ein Knabe aussähest und daß ich deinen Namen erraten konnte? O, das hast alles du selber gemacht. Begreifst du das nicht, du gelehrter Herr: daß ich dir darum gefalle und für dich wichtig bin, weil ich wie eine Art Spiegel für dich bin, weil in mir innen etwas ist, was dir Antwort gibt und dich versteht? Eigentlich sollten alle Menschen füreinander solche Spiegel sein und einander so antworten und entsprechen, aber solche Käuze wie du sind eben wunderlich und verlaufen sich leicht in eine Verzauberung, daß sie in den Augen andrer Menschen nichts mehr sehen und lesen können, daß es sie nichts mehr angeht. Und wenn dann so ein Kauz plötzlich doch wieder ein Gesicht findet, das ihn wirklich anschaut, in dem er etwas wie Antwort und Verwandtschaft spürt, ja, dann hat er natürlich eine Freude."


Bitte etwas Geduld - wir setzen das hier bald fort ...
Etwas ausführlichere "Lese-Erlebnisse" bei diesem Roman finden sich schon mal hier:

Share by: