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Trakl, "Der Gewitterabend"


Trakl, "Der Gewitterabend" - wenn ein Gedicht des Expressionismus im Stil der Romantik beginnt

Dieses 1913 erschienene Gedicht ist insofern besonders interessant, weil es zum einen am Anfang im Stil der Romantik beginnt, sich dann in viel Gewitter-Wildheit hineinsteigert und am Ende plötzlich im Regen Entspannung präsentiert.

Interessant ist das Gedicht zudem, weil man an ihm gut das Verhältnis von Außen-Eindrücken und Innen-Gefühlen sehen kann.
Das wird besonders in der ersten Strophe deutlich, wo der romantischen Situation draußen ein Innenleben entgegengesetzt wird, in dem "Angstgespenster" nisten.
Im weiteren Verlauf allerdings hat man den Eindruck, dass versucht wird, die Eindrücke von draußen mit inneren Bildern wiederzugeben, etwa wenn Blitze zu Feuerreitern werden und Wolken "einen Zug von wilden Rossen" treiben.
Von daher zeigt dieses Bild ein Doppeltes: zum einen das Hineinlegen von inneren Gefühlen in die Außenwelt, zum anderen den Versuch, die Außenwelt in einer Innensicht darzustellen.
Georg Trakl

Der Gewitterabend


O die roten Abendstunden!
Flimmernd schwankt am offenen Fenster
Weinlaub wirr ins Blau gewunden,
Drinnen nisten Angstgespenster.
 
Staub tanzt im Gestank der Gossen.
Klirrend stößt der Wind in Scheiben.
Einen Zug von wilden Rossen
Blitze grelle Wolken treiben,
 
Laut zerspringt der Weiherspiegel.
Möwen schrein am Fensterrahmen.
Feuerreiter sprengt vom Hügel
Und zerschellt im Tann zu Flammen.
 
Kranke kreischen im Spitale.
Bläulich schwirrt der Nacht Gefieder.
Glitzernd braust mit einem Male
Regen auf die Dächer nieder.

Äußere Form:
  1. Vier Strophen zu jeweils vier Zeilen
  2. jeweils ein vierhebiger Trochäus
  3. Kreuzreim
  4. durchgehend weibliche Versschlüsse
  5. Insgesamt typisch für viele Gedichte des Expressionismus: Zum Teil wild im Inhalt, aber konventionell in der Form.
Künstlerische Mittel:.
  1. Ausruf am Anfang, der gefühlsmäßiges Betroffensein, Intensität andeutet
  2. Andeutungen ("Angstgespenster")
  3. Personifizierungen des Staubs, des Windes, der Wolken
  4. Besonders aber des Feuers bzw. der Lichteffekte beim Gewitter, die als "Feuerreiter" verstanden werden, der sein Ende dann im Wald findet
  5. Auch der Nacht, die wie ein Vogel plötzlich "Gefieder" hat
  6. Gegensatz zwischen der ansteigenden Spannung und der Entspannung am Schluss
Anmerkungen zu diesem Gedicht
  1. Schon die erste Zeile könnte in jedem Gedicht von Eichendorff oder einem anderen Romantiker stehen.
  2. Anschließend wird es dann ein bisschen komplizierter. Dass da "Weinlaub" "flimmernd" "am offenen Fenster" "schwankt", geht auch noch.
  3. Aber schon das Adverb "wirr" ist für die Romantik grenzwertig, wenn auch noch möglich.
  4. Und wenn es um "Angstgespenster" geht, so sind die höchstens noch in der dunklen Seite der Romantik möglich, würden dort aber sicher "romantischer" dargestellt als in dieser nüchtern-düsteren Form.
  5. In der zweiten Strophe ist dann endgültig Schluss mit der Romantik, bei der sicher noch "Staub tanzt", aber "Gestank der Gossen", das erinnert eher an die Lebensumstände einfacher Menschen in den Industriegesellschaften vor dem Ersten Weltkrieg.
  6. Auch der Wind erscheint hier ein bisschen zu aggressiv, wenn er "in Scheiben" stößt. Wilde Rosse, Blitze und grelle Wolken können demgegenüber durchaus in der Romantik auftauchen, müssten dann aber positiv aufgelöst werden.
  7. Der Beginn der dritten Strophe schlägt dann schon einen Zerstörungston an, auch "Möwen schrein am Fensterrahmen" wirkt bedrohlich - und spätestens beim "Feuerreiter", der "im Tann zu Flammen" "zerschellt", haben wir etwas Apokalyptisches.
  8. Auch der Beginn der letzten Strophe entspricht vielen Gedichten des Expressionismus, die sich mit dem Krankenhauswesen recht drastisch beschäftigten.
  9. Demgegenüber ist die drittletzte Zeile wieder im Stil der Romantik, wozu noch hinzukommt, dass die Farbe Blau in dieser Epoche eine große Rolle spielt.
  10. Erstaunlich dann der Schluss - in zweierlei Hinsicht: Zum einen klingt das schon wieder romantisch, zum anderen fragt man sich, was dieses Ende bedeuten soll. Man hat das Gefühl, das Lyrische Ich hat sich jetzt genug am Expressionismus und seinen Anklängen und Bildern abgearbeitet und ist froh, dass jetzt eine Art positive Monotonie eintritt.
Intentionalität: Das Gedicht zeigt ...
  1. ein genaues Hinsehen in die Situation an einem Gewitterabend,
  2. ergänzt um eine Art innere Ergänzung (I,4), die in Richtung Beunruhigung geht
  3. Dazu passen Momente der Aggression bis hin zur Vernichtung
  4. eine Steigerung in den ersten drei Strophen und ein Übergang zu einer Art Entspannung in der letzten Strophe

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