Kulturwissenschaft- Auswertung einer Einführung für die Schule
Was sollte man in der Schule über Kultur und Kulturwissenschaft wissen? Auswertung einer Einführung von Hartmut Böhme
Worum es uns hier geht: Auswertung eines wissenschaftlichen Info-Textes für die Schule
Das Thema "Kultur" spielt im heutigen Deutschunterricht zu Recht eine große Rolle, weil es eng mit den Bereichen Sprache und Literatur verknüpft ist.
Hartmut Böhme ist nun nicht nur ein "deutscher Kultur- und Literaturwissenschaftler", wie die Wikipedia mitteilt, sondern er hat dankenswerterweise für seine Studierenden auch noch einen sehr informativen Einführungstext
zur freien Verfügung ins Internet gestellt.
Was wir jetzt nur noch leisten wollen und hoffentlich auch können, ist: diesen Text im Hinblick auf die Nutzung in der Schule auszuwerten.
Wer schnell wissen möchte, was unsere Auswertung ergeben hat, der finden hier die wichtigsten Ergebnisse:
Was bringt der Einführungstext von Hartmut Böhme für das Verständnis von Kultur (in der Schule)?
Man muss unterscheiden zwischen
Kulturwissenschaften = neue Bezeichnung für die alten "Geisteswissenschaften" (Philosophie, Geschichte, Literatur, Kunst usw.) Kulturwissenschaft = Bezeichnung für eine neue Wissenschaft, die sich speziell mit "Kultur" beschäftigt
Die "Kulturwissenschaft" bezieht ihre Kenntnisse aus Teilbereichen anderer Wissenschaften, bsd. Sprach- und Literaturwissenschaft, Philosophie, Geschichte, Kunst und natürlich besonders auch Ethnologie (Völkerkunde).
Was den Begriff "Kultur" angeht, haben schon die Griechen und Römer den vom Menschen unbearbeiteten Naturzustand unterschieden vom Kulturzustand. In ihm hat der Mensch schon sein Umfeld und seine Beziehung dazu gestaltet.
Kultur ist zum einen eine Situation, zum anderen aber auch das Bewusstsein davon. Dieses muss immer wieder weitergegeben werden (Tradition, Erziehung, Bildung).
Kultur kann sich aber auch jederzeit ändern bzw. weiterentwickeln. Kultur funktioniert so ähnlich wie die Evolution, bei der Weitergabe des Genmaterials bzw. des Kulturmaterials gibt es immer wieder Veränderungen.
Besonders die griechische und römische Kultur der Antike war relativ konservativ und misstrauisch bzw. ablehnend gegenüber dem Fremden, der als "Barbar" bezeichnet wurde (was sich auf die den Griechen unverständliche Sprache bezog).
Schon in der Antike wurde darüber diskutiert, ob die Natur Chaos ist oder eine eigene Ordnung hat. Seit Alexander von Humboldt und Charles Darwin dürfte das spätestens im Sinne eines sich verändernden Evolutionsgleichgewichts geklärt sein.
Ebenfalls wurde in der Antike eine Übertragung von der Sachkultur auf die Persönlichkeitskultur vorgenommen.
Das Christentum hat dann den Kulturbegriff vor allem in Richtung Schriftlichkeit entwickelt. Mündlichkeit und Bildlichkeit wurden zweitrangig, es entstand die Unterscheidung von Experten und Laien.
Dazu kam die extreme Jenseitsorientierung des Mittelalters mit der sehr negativen Vorstellung von einer verdorbenen Welt des Diesseits. Damit knüpfte man allerdings an Kulturkritik an, die es schon in der Antike gab.
Seit der Renaissance gibt es mit dem Aufkommen von Naturwissenschaft und Technik (vgl. Galilei und das Fernrohr) die Spaltung in zwei Kulturen : Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften.
In der Aufklärung gibt es neben dem grundsätzlichen Entwicklungsoptimismus der meisten Aufklärer auch die Rousseau-Variante, der die Zivilisation als einen Verderbtheitszustand verstand und vom "edlen Wilden" träumte. Sein Motto war: "Zurück zur Natur!"
Im 18. und dann besonders im 19. Jhdt. wurde eine bürgerliche Kultur immer mächtiger, die sich nach unten, aber auch gegenüber dem bis dahin herrschenden Adel abgrenzte.
Ihr gegenüber entwickelte sich eine sozialistische bzw. kommunistische Sicht auf das Leben, bei der vor allem die Ungerechtigkeit der Welt beklagt und bekämpft wurde - man wollte - ähnlich wie Rousseau - zu den angeblich paradiesischen Ursprüngen der Menschheit zurück.
Um 1900 herum differenzierten sich die Wissenschaften immer weiter aus.
Einen großen Rückschlag gab es durch die Rassismus- und Gewaltorientierung (Sozialdarwinismus) der Nationalsozialisten, verbunden mit einer völkischen Variante des Sozialismus: "Du bist nichts, dein Volk ist alles."
Nach ihrer Ausschaltung am Ende des Zweiten Weltkrieges versuchte man wieder an den Zeiten davor anzuknüpfen (50er und 60er Jahre).
Die Zeit der deutschen Einigung ab 1989 war dann auch die Geburtsstunde einer stärkeren Internationalisierung, was dann zur heutigen Kulturwissenschaft führte.
Zunächst ein kleines Schaubild zu einem wichtigen Unterschied
Das folgende Schaubild macht schon mal deutlich, dass man "Kulturwissenschaften" im Plural unterscheiden muss von "Kulturwissenschaft" im Singular.
Im ersten Falle versuchen die alten Geisteswissenschaften, sich neues Leben einzuhauchen.
Im zweiten Falle handelt es sich wirklich um eine immer noch junge, in der Entwicklung befindliche wissenschaftliche Disziplin.
Nähere Erklärungen weiter unten.
"Kulturwissenschaften" als Selbst-Reformierungsversuch der alten "Geisteswissenschaften"
Im ersten Abschnitt unterscheidet Hartmut Böhme zunächst einmal Kulturwissenschaften von Kulturwissenschaft. Der Plural bedeutet für ihn einen Ersatz für die bisherigen Geisteswissenschaften. Dazu gehört alles, was eben nicht eindeutig Naturwissenschaft ist.
Der Singular steht denn für eine neue wissenschaftliche Disziplin, die noch im Aufbau ist.
Im zweiten Abschnitt geht der Verfasser dann genauer auf die so genannten Kulturwissenschaften ein und präsentiert in dem Zusammenhang auch eine interessante Definition von Kultur "als dem Inbegriff aller menschlichen Arbeit und Lebensformen, einschließlich naturwissenschaftlicher Entwicklungen“.
Die Kulturwissenschaften "beschreiben, analysieren, deuten und erklären mithin 'die kulturelle Form der Welt'. Hier verweist Böhme auf Frühwald u.a. 1991 als Quelle.
Im weiteren Verlauf geht der Verfasser dann ausführlich auf die Probleme der Geisteswissenschaften ein, die sich heute nur noch modern meinen präsentieren zu können, wenn sie sich eben "Kulturwissenschaften" nennen.
Das kann man insofern natürlich nachvollziehen, weil die entsprechenden deutschen Wissenschaften sich damit aus der besonderen Wissenschaftsgeschichte Deutschlands herauslösen und einen besseren Anschluss an die internationale Wissenschaft gewinnen.
Außerdem meinen sie, sich damit besser den "Herausforderungen aus dem gesellschaftlichen Wandel insgesamt, besonders aber aus Prozessen der Globalisierung und Interkulturalität, der Medien- und Kommunikationsent-wicklung sowie der Informations- und Wissenskulturen" stellen zu können.
Die "Kulturwissenschaft" als neue Wissenschaftsdisziplin
Im nächsten Abschnitt geht Böhme dann auf die Kulturwissenschaft im Singular ein, die sich seit der Wende von 1989 als neue Disziplin erfolgreich etabliert hat.
Dabei werden ganz unterschiedliche Wissenschaftsinstitutionen und Bereiche zusammen geführt.
Beteiligt sind nach Böhme besonders die Fächer Germanistik, Philosophie, Ethnologie, Historie, Kunstgeschichte.
Außerdem werden hier interessante wissenschaftliche Ansätze der letzten Jahrzehnte aufgenommen, mit denen man sich recherchemäßig befassen könnte. Deshalb zitieren wir den entsprechenden Absatz hier einfach.
"(Annales-Schule,
angloamerikanische Cultural Studies,
Cultural Anthropology,
Visual and Performance Studies,
New Historicism,
Poststrukturalismus,
Dekonstruktivismus u.a.)
Versuch einer Klärung der neuen Wissenschaft über ihre "wissenschaftshistorischen Voraussetzungen"
In einem zweiten großen Abschnitt ("Historische Semantik und Wissenschaftsgeschichte") geht der Verfasser auf die wissenschaftshistorischen Voraussetzungen dieser neuen Kulturwissenschaft ein.
Dabei hebt er als besonderes Problem hervor, dass die Kultur das "Objekt einer Wissenschaft" ist, die "ihrerseits ein Teil desselben ist."
Gemeint damit ist, dass der, der sich mit einer fremden Kultur befasst, das natürlich im Rahmen seiner eigenen Kultur tut.
In diesem Zusammenhang erscheint es dem Verfasser überaus hilfreich, sich mit den Vorstellungen von Kultur im Rahmen der geschichtlichen Entwicklung zu beschäftigen.
Auch hier zunächst wieder ein Schaubild, das deutlich macht, mit welchen Epochen und Entwicklungen sich Böhme in seiner begrifflichen Klärung beschäftigt.
"Kultur" in römischer und griechischer Zeit (Antike)
Im dritten großen Abschnitt geht der Text dann auf die griechische und römische Zeit ein
Ausgehend vom lateinischen Begriff ("cultura") präsentiert Böhme die Unterscheidung zwischen der von Menschen vorgefundenen Natur und ihrer Veränderung in ihrem Sinne.
Dabei werden "soziale Ordnungen und kommunikative Symbolwelten schaffen, welche kommunitären Gebilden im Ganzen wie den Einzelnen eine durative Stabilität verschaffen."
Gemeint ist damit, dass sich soziale Gemeinschaften vom kleinen Dorf bis zu einer Staatengruppe eine Ordnung im Verhältnis zueinander und in der Kommunikation geben.
Wichtig ist, dass eine Kultur nicht nur nach innen Ordnung schaffen soll, sondern dieser auch eine möglichst hohe Dauer geben soll.
Anmerkung: Hier taucht die Frage auf, wie Kulturen das vor dem Hintergrund machen, dass die neugeborenen Menschen zunächst einmal ohne kulturelle Bindungen sind und diese erste erhalten müssen.
Im Hinblick auf die alten Griechen wird derselbe Gedanke noch etwas weiter ausgeführt.
Hinzu kommt dabei der Aspekt der Kritik der Natur und dann auch der Kritik der Kultur.
Dabei kommt die Spannung ins Spiel zwischen einer als chaotisch empfundenen Natur und auf der anderen Seite einer Kultur, die sich auch zu weit von der Natur entfernt, etwa in Richtung auf Dekadenz oder Unterdrückung.
Ausführlich und mit vielen Anregungen wird dann auf verschiedene Formen der Kulturkritik bei den alten Griechen eingegangen und anschließend auf das gleiche Phänomen bei den alten Römern.
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf ergänzende Begriffe
"civilitas (Zivilisiertheit als dasjenige, was sich auf den Bürger bezieht und was ihm ziemt)"
" urbanitas (das Gehabe des Stadtbürgers)"
"humanitas (der kultivierte Status des Gebildeten)
"Kultur" in der Phase zwischen Christentum und Aufklärung
Das Christentum steht kulturell vor allem für eine neue Schriftkultur heiliger Texte, die sich scharf abgrenzte von der alten (heidnischen) Volkskultur, die vor allem mündlich weitergegeben wurde.
Diese Trennung von Experten- und Laienkultur hat nach Böhmes Auffassung bis ins 20. Jhdt. hineingewirkt.
Die spezielle Moralkritik der Antike habe sich zudem sehr gut mit der Vorstellung von einem "verdorbenen Weltzustand" verbinden lassen.
Ausführlich geht Böhme auf die vom Judentum übernommene "Kritik am Bilderkult" ein, die sich später vor allem auch gegen kolonisierte Völker richtete.
Das Christentum steht aber auch für die Abtrenung der neuen Naturwissenschaften und der Technik.
Dieser Prozess habe schließlich auch zur Gründung moderner Universitäten geführt.
Die damit verbundene größere geistige Freiheit habe zu zwei neuen Formen von Kulturkritik geführt,
einer, die stark von Rousseau geprägt wurde. Er war der Meinung, dass der Mensch von Natur aus gut ist und erst durch die Zivilisation verdorben wird.
Außerdem wird die "Kritik der sozialen Bewegungen" genannt: Gemeint ist damit wohl der Sozialismus des 19. Jhdts gemeint, der auf auf irdische Weise ein Paradies erreichen wollte.
Am Ende stand nach Böhme "der bildungsbürgerliche Kulturbegriff, der die ‚Kultur‘ als Distinktionsmerkmal der eigenen Schicht benutzte, zugleich aber umfangslogisch universalisierte".
Gemeint ist damit wohl, dass das Bürgertum in der Neuzeit eine eigene Kultur gegen die alte höfische Adelskultur entwickelte, die letztlich alles umfasste, was in das Konzept dieser frühen europäischen Moderne passte.
"Kulturelles Apriori der Natur"
Hier muss man zunächst einmal wissen, was das Zauberwort "A priori" überhaupt meint: Vereinfacht gesagt, ist damit ein Wissen gemeint, das von Erfahrungen unabhängig ist, einfach für sich mit Hilfe des Verstandes erkannt werden kann. Dazu gehören zum Beispiel logische Schlussfolgerungen.
Konkret bedeutet das, dass es für den Menschen keine Natur ohne einen bereits kulturellen Zugriff darauf gibt.
Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Wenn ein Europäer zum ersten Mal den Regenwald sieht, dann sieht er ihn als etwas Fremdes, Gefährliches, Undurchdringliches, während der dort lebende Indio diesen Wald als sein Zuhause und wichtige Nahrungsquelle ansieht.
Entscheidend ist, dass die Wirklichkeit um uns herum, immer mit den Augen unserer speziellen Kultur gesehen wird.
Am Ende betont Böhme noch einmal, dass diese kulturelle Gebundenheit auch für die Naturwissenschaften gilt.
Man wird hier an Whorf erinnert, der in einem seiner Basistexte darauf hinweist, dass es neben der westlich geprägten Naturwissenschaft eben auch andere Zugänge zur Natur gibt, die die Natur im Kontext der entsprechenden Kultur genauso richtig beschreiben können.
Das kleine Schaubild soll noch einmal die Stellung und Sichtweise eines jeden Menschen zeigen:
Er ist Teil der Natur und auch der Kultur, von daher müsste der blaue Bereich oben weiter nach unten reichen. Aber gerade solche kleinen Defizite sorgen ja für Aufmerksamkeit und bleiben dann besser im Gedächtnis ;-)
Wenn der Mensch auf Natur oder Kultur blickt, geschieht das aus seinem Kopf heraus - und alles dort ist durch die ihn umgebende Kultur geprägt.
Das gilt sowohl für
B = Beobachtung
D = Denken
S = Sprache - hier sei noch einmal an Whorf erinnert.
Wenn sich der Beobachtungsbereich erweitert oder sonstwie verändert, bleibt die kulturelle Gebundenheit des Menschen bei seinem Kontakt zur Außenwelt immer bestehen.
Diese Gebundenheit kann ihren Charakter verändern - siehe den nächsten Punkt. Aber prinzipiell und real ist sie in der jeweils aktuellen Form immer gegeben. Die mögliche Veränderung der Kultur oder auch einfach Alternativen zur jeweils individuell gegebenen behandelt dann der folgende Punkt.
"Kulturelle Kontingenz und historische Anthropologie"
Auch hier erst mal wieder eine begriffliche Klärung: Unter Kontingenz ist - vereinfacht gesagt - zu verstehen, dass es auch anders sein könnte. Der berühmte Soziologe Niklas Luhmann hat es so definiert: "Kontingent ist etwas, was weder notwendig noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (zu Erfahrendes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Kontingenz_(Soziologie)
Zur Aufklärung hin entfernte man sich von der christlichen Vorstellung einer letztlich allein gültigen kulturellen Entwicklung hin zu einem jenseitigen Endziel. Stattdessen war man bereit und in der Lage, auch ein Nebeneinander gleichberechtigter Kulturen zu akzeptieren.
Man kann das am Beispiel der mittelamerikanischen Indiokulturen verdeutlichen: Während die Vertreter des Christentums möglichst alle indigenen Kulturerzeugnisse als heidnisch vernichten ließen, fing man später an, sich dafür zu interessieren und dem Fremden neben dem Eigenen einen Wert zuzuerkennen.
Hier sei auf den folgenden Hinweis aus Wikipedia verwiesen: "Schließlich wurden Versuche unternommen, die Maya zu christianisieren, unter anderem durch den Mönch Diego de Landa. Berühmtheit erlangte Diego de Landa, als er mit harter Hand gegen die Maya vorgehen ließ, die sich nicht zum christlichen Glauben bekehren und anstatt dessen an ihren religiösen Ritualen festhalten wollten. Dies gipfelte in einem Urteil, das am 12. Juli 1562 abgehalten wurde und bei dem de Landa aufgrund seines religiösen Eifers vor dem Franziskanerkloster in Maní alles in Maya Geschriebene sowie die religiösen Figuren und Symbole der Maya verbrennen ließ, was zur Folge hatte, dass uns heute nur noch Teile von vier Maya-Codices erhalten geblieben sind und noch heute einen kleinen Einblick in die Vergangenheit der Maya geben. " (https://de.wikipedia.org/wiki/Maya)
Damit ist die Grundlage für die heutige vergleichende Kulturforschung gelegt. Man kann auch von einer "historischen Anthropologie" sprechen, d.h. das Menschsein versteht man jetzt als eine sich ständig verändernde Vielheit von Existenzen und kulturellen Formen.
Sehr schön ist am Ende die Formulierung: Kultur ist die "Sphäre der reflektierten Kontingenz" - also die Einsicht, dass man selbst feststellen muss, dass es auch anders sein kann, wie man denkt, fühlt und lebt.
Sehr nachdenklich machen muss einen allerdings das Zitat, das Böhme von dem Philosophen Kant einbringt: " „Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist: sie will Zwietracht." Das erinnert sehr stark an das biologische Evolutionsphänomen und die antike Vorstellung vom Krieg als dem "Vater aller Dinge". Die Frage, die sich dabei ergibt, ist die, ob Kultur wirklich das "Feld der Überschneidung eines durchgängigen Antagonismus aller Glieder einer Gesellschaft" ist „mit der genauesten Bestimmung und Sicherung der Grenzen der Freiheit, damit sie mit der Freiheit anderer bestehen könne“. Nicht von ungefähr denkt man dann daran, dass das in der Praxis nicht sehr friedlich verläuft. Und es ist nur konsequent, wenn Böhme dann gleich darauf hinweist: "Dieses Überschneidungsfeld von Gegensätzen teilen sich die bürgerliche Verfassung (d.h. das Feld des Staates und des Rechts) und die Anthropologie in pragmatischer Absicht, d.h. die Sphäre der kulturell stilisierten Handlungen." Wir verstehen das so, dass sowohl Verfassung und Rechtsstaat versuchen, diese "Zwietracht" einigermaßen menschlich sich auswirken zu lassen - wie auch die Kultur mit ihren "stilisierten Handlungen". Dazu gehört zum Beispiel, dass man sich bei einem Fehlverhalten auch entschuldigen kann.
Am Ende gibt es noch eine Definition von Kulturwissenschaft als "die Beschreibung, Analyse und Erklärung der historisch entwickelten materiellen und symbolischen Standards von Vermögen und Fertig-keiten aller Art." Hier ist keine Rede mehr von Ethik, wohl aber von Selbstreflexion, also dem Bewusstsein, dass es neben dem Eigenen auch das Andere gibt, das sein eigenes Recht hat.
Zusammenfassung der Diskussion über Kulturwissenschaften bzw. Kulturwissenschaft
Im Schlussteil wertet der Verfasser die ihm bekannte Literatur zu diesem Thema aus und hält als Kernpunkte fest:
die Einigkeit darüber, dass Kulturwissenschaft nur interdisziplinär möglich ist, man also verschiedene Teilwissenschaften zur Klärung der Dinge heranziehen muss
dass es sich vor allem um einen Modernisierungsprozess des Wissenschaftsbetriebs handelt
dass der einige Vorläufer hat:
"das 18. Jahrhundert als protowissenschaftliche Phase historischer Kulturforschung
sowie die Gründungskonjunktur einer großen Anzahl neuer Disziplinen zwischen 1870 und 1914,
wozu besonders auch die Kulturwissenschaft gehörte.
Die Verdrängung der Kulturwissenschaft durch Geistesgeschichte und Nationalsozialismus soll mit der Reetablierung von Kulturwissenschaft zurückgenommen werden."
der Prozess der "Entprivilegierung der sog. hohen Kultur. " Das heißt, alles, was eine Kultur hervorbringt, soll einbezogen werden, nicht nur Bücher zum Beispiel.
Der modernen Vielfalt der Bildlichkeit wird zum Teil eine größere Bedeutung zugemessen als den Schriftquellen.
Das kulturelle Gedächtnis wird als ständig in Bewegung gesehen - es muss ständig wieder neu aktualisiert werden, was zum Beispiel der Erziehung der nächsten Generation eine besondere Rolle zuweist.
Hier kann sich jeder Schüler fragen, wieviel traditionelle Kultur ihm in der Schule zur Selbstprüfung mitgegeben wird und wieviel möglicherweise unreflektiert, bewusstlos durch Nichtbeachtung verlorengeht.
Eine große Bedeutung haben auch die Überschneidungspphänomene der Kulturen - besonders in den Zeiten großer Migration. In diesem Zusammenhang hält Böhme Synkretismus, also die individuelle Zusammenstellung von Elementen zu einer eigenen Kultur für besonders wichtig.
Auch hier taucht wieder die Frage auf, ob dieser Synkretismus nicht gerade erst mal verlangt, dass man viel zur Auswahl zur Verfügung gestellt bekommt.
Am Ende geht Böhme auf die "Kultursemiotik" ein: (Das dürfte Geertz und seinem Kulturansatz gut gefallen!) Siehe dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Dichte_Beschreibung "Hiernach ist ‚Kultur‘ ein symbolischer oder textueller Zusammenhang, ein Textuniversum, in welchem sich einzelne kulturellen Momente, als Texte, immer nur durch ihren Kontexte bzw. eine Fülle von Kontexten erschlie-ßen. Die kulturelle Realität wird mithin als Text oder Zeichen verstanden, als ein gewaltiges Gewebe, eine Textur, die - im historischen Querschnitt - in ihrer topographischen Verteilung, Vernetzung und Struktur, im zeitlichen Längsschnitt dagegen als ein langwelliger, sich langsam wandelnder, transsubjektiver, gleichwohl hergestellter, darum immer neu interpretier-barer und entzifferbarer Bedeutungszusammenhang aufgefaßt wird."
Den sehr kompakten Schlussabsatz lösen wir hier mal in seine Bestandteile auf und kommentieren die Elemente soweit nötig bzw. möglich:
"Hiernach ist Kulturwissenschaft keine Handlungswissenschaft, sondern ein bedeutungsgenerierendes Verfahren, das sozial signifikante Wahrnehmungs-, Symbolisierungs- und Kognitionsstile in ihrer lebensweltlichen Wirksamkeit analysiert. [Anmerkung: Das entspricht stark dem Ansatz von Geertz! so.]]
Die Medien sind auch hier zentral, da sie die kulturelle Semantik von Gesellschaften sowohl erzeugen wie distributieren. [Das gilt natürlich in der heutigen Zeit noch viel mehr als früher - man denke etwa an die Bildflut, die zwischen den Menschen heute ausgetauscht wird, wobei die einzelnen Bilder fast immer stilisiert, d.h. mit Bedeutung aufgeladen sind und so auch verstanden werden.]
Im historischen Rückblick differenzieren die Medien sich aus oralen Kommunikationen nacheinander aus und bilden in modernen Gesellschaften, die durch das Nebeneinander mehrerer Medien geprägt sind, einen komplexen, subsystematisch geliederten, von technischen Innovationen vorangetriebenen Prozeß. [Anmerkung: Hier kann jeder selbst prüfen, welche modernen Medien für ihn von besonderer Bedeutung sind.]
Kultur erscheint als ein Prozeß fortschreitender reflexiver Semantisierung, durch welche ununterbrochen Sinnressourcen geschaffen und distribuiert, aber auch subvertiert und zerstört werden. [Anmerkung: Hier wird noch einmal deutlich, wie wichtig ein kultureller Zusammenhalt ist und wie sehr er auch der Veränderung unterliegt.]
Auf diesem Feld führt die Kulturwissenschaft die Medienforschung und die Kultursemiotik mit Ansätzen zusammen, welche die 'Kultur als Text' oder eine 'Poetik der Kultur' voraussetzen." [Hier können wir nur wieder auf Geertz (s.o.)verweisen!]
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